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Anregungen aus der Diskursanalyse für die Gestaltung von Mediziner_innenkursen: eine Rezension

Schön, Almut (2012): Arzt-Patienten-Gespräche als L2-L1-Kommunikation. Eine Diskursanalyse zu Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Beruf. Frankfurt a.M.: Peter Lang.

Mit ihrer Dissertation legt Almut Schön eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten vor, die explizit die mündliche Kommunikation zwischen L2-Sprecher (Nicht-Muttersprachler) und L1-Sprecher (Muttersprachler) im Bereich Medizin erforschen. Dabei fokussiert sie das Anamnesegespräch zwischen L2-Arzt und L1-Patient. Als Analysekorpus dienten ihr im Rahmen eines Trainings für ausländische Mediziner durchgeführte Gespräche mit Standardpatienten. Entsprechend der Diskursanalyse nach Foucault liegt das Ziel der Arbeit in der Aufschlüsselung von Aushandlungsprozessen und Machtverhältnissen in dieser sehr speziellen Art von Kommunikationssituation.

 

Für Kursleitende von berufsvorbereitenden oder -begleitenden Kursen für ausländische Mediziner sind die Ergebnisse von Schöns Studie vor allem insofern interessant, als dass sie die essentielle Wichtigkeit von Kommunikationstrainings herausstellen. Der Analysekorpus der Arbeit besteht aus Aufzeichnungen von sogenannten Standardpatienten-Anamnesen. Dazu bekommen L1-Sprecher Rollenbiografien standardisierter Patienten zugeteilt, die sie im Gespräch mit den Medizinern ausfüllen. Der Umstand, dass es sich bei den Standardpatienten nicht um „echte“ Patienten handelt, sei dabei für den Erfolg des Kommunikationstrainings unerheblich: „Empirische Studien haben entgegen dem Augenschein gezeigt, dass in den allermeisten Fällen weder Ärzte noch Studierende in der Lage sind, Standardpatienten in den Gesprächen von ´realen` Patienten zu unterscheiden, wenn sie hierzu keine Informationen im Voraus erhalten haben.“ (S. 64f)

 

Die von Schön analysierten Gespräche wurden nach dem Script Anamnese aus dem Lehrwerk Deutsch für Ärztinnen und Ärzte. Kommunikation in Klinik und Praxis. von Schrimpf & Bahnemann (2012) geführt. Das Script kann sowohl als Basis für Kommunikationstrainings im Kurs als auch Lernern als praktischer Leitfaden für die Textsorte Anamnesegespräch dienen. Seine Struktur spiegelt das psychosoziale Leitbild der heutigen Medizin wider, innerhalb dessen der Patient als mündiges Individuum angesehen wird, dessen Anliegen und Beschwerden (und deren Ursache) es in einer möglichst umfassenden Anamnese zu erfassen gilt (S. 74). 

 

Schön stellt in der Analyse der Anamnesegespräche jedoch fest, dass die Gesprächsführung vieler Ärzte diesem Leitbild widersprach. So übergingen viele Ärzte im Script enthaltene Punkte, wie etwa die Vorstellung und die Verabschiedung, in der der Patient u.a. zur Klärung eventuell noch offener Fragen eingeladen werden soll. Auch die einleitende Frage nach der Befindlichkeit des Patienten wurde nur in wenigen Gesprächen gestellt. 

 

Die Textsorte Anamnesegespräch zeichnet sich zudem durch für Laien abrupt oder unlogisch scheinende Themensprünge aus, die sämtlich von Seiten des Arztes initiiert werden. In dieser Art der Gesprächsführung, die sich stark von alltagssprachlicher Kommunikation unterscheidet, zeigt sich u.a. „die Dominanz des Arztes im medizinischen Diskurs“ (S. 75). „Diese traditionelle Rollenzuschreibung gerät fortwährend in Konflikt mit der geforderten Patientenzentrierung und den Richtlinien der psychosozialen Medizin“ (ebd.). In den analysierten Gesprächen führte dies z.T. dazu, dass die Ärzte von den Patienten als unaufmerksam oder unhöflich wahrgenommen wurden, wodurch Missverständnisse und teils sogar Konflikte entstanden.

 

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Analyse ist das Auftauchen von Verständnisschwierigkeiten aufgrund alltagsprachlicher Begriffe. Diese verwendeten L1-Patienten z.B. häufig in der Schilderung ihrer Beschwerden. Verstanden die L2-Ärzte diese Begriffe nicht, stellten sie trotzdem nur selten Rückfragen zur Verständnisklärung. Zwar unternahmen die Patienten ihrerseits dann „vielfältige Anstrengungen, Verständnis zu etablieren“ (S. 134), jedoch merkt Schön an, dass „die Besonderheit der fachsprachlichen Situation und insbesondere die Machtverteilung zwischen den Rollen Arzt und Patient [...] dazu führen, dass Fremdkorrekturen sehr selten sind und Wiederverwendung oder Erwerb kaum stattfinden“ (S. 135).


Fazit


Almut Schön liefert hier eine sehr detaillierte Gesprächsanalyse nach dem Vorgehen der Diskursanalyse nach Foucault, deren Lektüre interessierte Kursleitenden zu einem genaueren Verständnis der Kommunikation zwischen L2-Ärzten und Patienten verhelfen kann. Insbesondere die Rolle des Arztes innerhalb dieser Kommunikationssituation wird kritisch beleuchtet und hinterfragt. Da Schön sich in ihrer Arbeit auf die Gesprächsanalyse beschränkt, finden sich in dieser Arbeit keine Handlungsvorschläge für den Unterricht. Es liegt also bei jedem Kursleitenden selbst, die in den Analysen herausgearbeiteten Aspekte zu deuten und zu bewerten. Folglich bleibt auch der Umgang mit diesen im Kurs jedem selbst überlassen. Für die Unterrichtsarbeit wäre z.B. der Einsatz von exemplarischen Gesprächsausschnitten aus der Arbeit denkbar. So könnten Kursteilnehmer durch eigene Analysen für typische Probleme im Anamnesegespräch sensibilisiert und Kommunikationstrainings im Kurs vorbereitet werden.

Rezensentin: Anne Wernicke, Bielefeld

Literatur:
Schrimpf & Bahnemann (2012): Deutsch für Ärztinnen und Ärzte. Kommunikation in Klinik und Praxis. 2. akt. Aufl.. Berlin u.a.: Springer.