Ausgabe 2/2012, Bundesinstitut für Berufsbildung
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis“ des BIBB hat den Themenschwerpunkt „Sprache und Beruf“. Das komplette Heft können Sie hier einsehen und sowohl einzelne Artikel als auch die gesamte Ausgabe bestellen: www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/bwp/show/id/6861
Welche Rolle spielt Sprache in der beruflichen Bildung und am Arbeitsplatz? Diese Frage steht im Zentrum aller Beiträge, die sich im Einzelnen mit dem Stellenwert von Sprache und Kommunikation
auseinandersetzen. Des Weiteren werden Angebote und Konzepte zur Sprachbildungim europäischen Arbeitsraum und eine Erhebung von sprachlichen Bedarfen am Beispiel von kaufmännischen Berufen vorgestellt. Weitere im Heft behandelte Themen beziehen sich auf didaktische, tarifliche und rechtliche Fragen im Kontext der beruflichen Weiter/Bildung.
In dem Themenheft finden sich eine ganze Reihe von Aufsätzen, die interessante wissenschaftliche Befunde für das Feld berufsbezogenes Deutsch beinhalten. Um einen ersten Einblick zu ermöglichen, stellen wir im Folgenden einige der Aufsätze auszugshaft dar. Dabei konzentriert sich unsere Auswahl vor allem auf diejenigen Fragestellungen und Ansätze, an die die Arbeit der Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch anschließt.
Auf die Bedeutung von sprachlich-kommunikativen Kompetenzen in der Ausbildung und im Übergang Schule und Beruf gehen die Artikel von Christian Efing, Andrea Daase und Monika Bethscheider ein. So geht Efing in seinem Beitrag „Sprachliche oder kommunikative Fähigkeiten – was ist der Unterschied und was wird in der Ausbildung verlangt?“ eben diesen beiden Fragen nach. In Anlehnung an die DE Saussursche Unterscheidung zwischen langue (Sprachsystem) und parole (konkrete Rede) werden sprachliche Fähigkeiten als Kenntnisse des Sprachsystems (Grammatik, Syntax etc.) definiert, kommunikative Fähigkeiten hingegen werden als Sprachhandeln in konkreten Kontexten verstanden. Dazu gehören u. a. auch die sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen (Höflichkeitskonventionen etc.) und die Kenntnis typischer Gesprächsschemata, wie etwa der Ablauf eines Verkaufsgesprächs. Weniger geht es hier also um grammatisch wohlgeformte Sätze als um die Fähigkeit, angemessene und zielführende sprachliche Handlungen produzieren zu können. Inwiefern die so unterschiedenen sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen nun in der Ausbildung relevant werden, beschreibt Efing im zweiten Teil des Aufsatzes anhand einer aktuellen Studie, die an der PH Heidelberg angesiedelt ist: Erste Ergebnisse dieser Studie verweisen darauf, dass sprachlich(-grammatisch)e Fähigkeiten keine große Rolle spielten, solange sie das Verständnis nicht beeinträchtigen. Gebrochenes Deutsch, so ein hier angeführtes Zitat, sei nicht wichtig, wenn derjenige kommunizieren könne. Darüber hinaus sei jedoch, so Efing, beim befragten Ausbildungspersonal (eines industriellen Großbetriebs) wenig Bewusstsein dafür vorhanden, welche kommunikativen Anforderungen die Ausbildung mit sich bringt und die Auszubildenden auch nicht adäquat auf die typischen kommunikativen Anforderungen des Berufsfeldes vorbereitet: Stark standardisierte Formulare und multimodale Texte zu kommunizieren seien kaum Gegenstand schulischen Lernens. Das war auch ein Ergebnis der Interviews mit den Auszubildenden. Der Aufsatz schließt mit einer programmatischen Forderung, die auch von Seiten der Politik und Praxis schon seit längerem gestellt wird: Betrieben und Schulen müssen sprachliche und kommunikative Anforderungen stärker an den realen Anforderungen orientieren.
Andrea Daase wiederum nimmt die Situation mehrsprachiger Jugendlicher im Übergangsbereich in den Blick. Ihr Aufsatz bezieht sich auf im Rahmen eines Xenos-Projekts erhobene Daten: Sowohl mithilfe von den Jugendlichen einer Kasseler Produktionsschule selbst erstellten Sprachenportraits als auch Expert_inneninterviews wurden Daten zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule sowie Möglichkeiten einer Sprachförderung erhoben. Diese verdeutlichen nach Daase sowohl den bildungssprachlichen Förderbedarf der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund als auch die Notwendigkeit einer detaillierten Beschreibung der sprachlichen Ressourcen der zum Teil mehrsprachigen Jugendlichen: Nur auf Grundlage von Sprachportraits ergänzt durch eine fundierte Diagnostik, die ihrerseits Mehrsprachigkeit einbezieht, lässt sich der Übergangsbereich konsequent auf die heterogenen Bedarfe der Schüler_innen ausrichten.
Monika Bethscheider geht auf die Notwendigkeit der Sprachförderung in der betrieblichen Ausbildung ein. Auf der Grundlage der Ergebnisse einer Forschungsprojekts, das die Situation von Schulabsolvent_innen mit Migrationshintergrund in der Ausbildung untersuchte, geht sie darauf ein, wie befragte Ausbilder_innen im Friseurberuf mit sprachlichen Schwierigkeiten der Auszubildenden mit Migrationshintergrund umgehen und stellt dies an einer Bandbreite von Reaktionen einiger Befragter dar: Diese reicht von Ausbilder_innen, die Jugendliche mit Sprachschwierigkeiten von der Ausbildung ausschließen bis hin zu welchen, die sich persönlich bemühen, Jugendliche mit Migrationshintergrund sprachlich zu fördern. Feststellen lässt sich in diesem Feld vor allem ein deutlicher Weiterqualifizierungsbedarf der Ausbilder_innen: Ziel müsse sein, das Ausbildungspersonal zu befähigen, sprachliche Anforderungen zu erkennen und berufliche Handlungskompetenz in Betrieben sprachsensibel zu vermitteln.
An dieser Stelle lässt sich anmerken, dass die Fachstelle berufsbezogenes Deutsch bereits erste Schritte in diesem Bereich getan und ein entsprechendes Fortbildungsangebot „Sprachsensibler Fachunterricht“ in ihr Repertoire aufgenommen hat.
Zwei weitere Aufsätze gehen auf die Bedeutung von Fachsprache für die berufliche Identität und auf die Möglichkeiten eines Analyserasters ein, mit dem Sprachbedarfe erhoben wurden. Nina Janich nimmt eine innovative Perspektive auf den Zusammenhang von Sprache und beruflicher Identität ein, indem sie der Frage nachgeht, welche Rolle Fachsprache für die Fachidentität spielt. Fachsprache wird zunächst nicht allein in ihrer funktionalen und pragmatischen Dimension dargestellt, sondern auch auf die mit Fachsprache verbundenen Aspekte der Zugehörigkeit (zu einer Gemeinschaft von Fachleuten), und auf Fachsprache als Kompetenzsignal in Bezug auf die Fachcommunity. Gerade weil durch die Veränderung des Arbeitsmarktes immer neue Fachsprachen entstehen, sieht Janich jedoch vor allem „Verständigungskompetenz“ als eine wichtige Ressource von interdisziplinär arbeitenden Fachleuten an und betont damit wie auch viele andere Akteure im Feld des berufsbezogenen Deutsch die Wichtigkeit kommunikativer Kompetenzen im Berufsleben: Diese müssen, so Janich, stärker mit der Fachausbildung verbunden werden. Zusätzlich müsse bei Lernenden und Ausbilder_innen Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Bedeutung so eine breite Sprachkompetenz für Fachidentität und für die Vermittlung von Inhalten hat.
Im Hinblick auf breitere Sprachbedarfserhebungen ist besonders der Beitrag von Franz Kaiser von Interesse: Dieser geht unter anderem auf ein im Rahmen eines BIBB-Forschungsprojektes entwickeltes Analyseraster ein, mit dem sprachliche-fachliche Anforderungen im Kontext kaufmännischer Berufe erhoben wurden. Die im Kontext des Projekts erzielten Befunde verdeutlichen, dass sprachlich-kommunikative Anforderungen im kaufmännischen Bereich sehr komplex sind, jedoch keinen Gegenstand der Ausbildung darstellen: sie werden schlicht vorausgesetzt. In dem Artikel wird betont, dass wenig aktuelle Forschung zur Rolle von Sprache in der Berufsausbildung existiert und linguistische Diskursforschung in Zukunft im Rahmen wirtschaftspädagogischer Untersuchungen stärkere Berücksichtigung finden sollte.
Weitere im Heft veröffentlichte Artikel nehmen Themen wie etwa die Rolle von Fremdsprachen in Betrieben und in der Ausbildung, die Integration funktionaler Analphabet_innen ins Beschäftigungssystem, Lehrerfortbildungen sowie verschiedene rechtliche und didaktische Fragen in Bezug auf sprachliche und fachliche Qualifizierungen in den Blick. Somit wird ein recht umfassender und facettenreicher Einblick in das Themenfeld sprachlicher und fachlicher Qualifizierungen abgebildet.
Die im vorliegenden Heft abgebildeten Forschungsergebnisse zeigen unter anderem, dass Kommunikation überraschende Facetten hat (wie beispielsweise die Rolle der Fachsprache für die Fachidentität), auf die in entsprechenden Unterrichts- und Unterstützungsangeboten auch einzugehen wäre und für die teilweise didaktische Lösungen erst noch zu entwickeln sind. Die Gesamtbetrachtung der hier abgedruckten Artikel legt den Schluss nah, dass im Feld der berufsbezogenen Sprachförderung noch eine Menge zu tun ist: Weitere Forschungsprojekte sind notwendig, um die Bedeutung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen in verschiedenen Bereichen des Arbeitsmarktes zu erheben und die Situation von Auszubildenden und Berufstätigen in Bezug auf deren Umgang mit Sprache im Arbeitsalltag zu beleuchten. Dabei sprechen die im vorliegenden Themenheft aufgeführten wissenschaftlichen Befunde dafür, eine im Sinne eines "Actionresearch-Programms" forschende Entwicklungsarbeit zu betreiben und eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis zu fordern und zu fördern. Verwaltung, Politik und Praxis sind folglich gefragt, Barrieren abzubauen, eine den aufgezeigten Belangen förderliche Öffentlichkeitsarbeit voranzutreiben und zu den Bedarfen passende Angebote zu entwickeln.
Bettina Kleiner