Am 18.-19. November 2011 fand an der Universität Hamburg die Fachtagung "Bildungssprache-Bildungserfolg" des FörMig-Kompetenzzentrums statt, das 2010 seine Arbeit als Forschungstransferzentrum aufgenommen hat.
Aufgabe des Kompetenzzentrums ist es wissenschaftliche Expertise zum Thema Sprachbildung für die Bildungspraxis aufzubereiten mit dem Ziel bildungssprachförderlichen Unterricht zu entwickeln und zu erproben.
Im Fokus standen Beiträge und Workshops zum Zusammenhang von Bildungserfolg und Sprachbildung sowie praktische Ansätze zur durchgängigen Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten.
Den ersten Vortrag zum Thema „Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“ hielt Prof. Dr. Wilfried Bos (Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund). In international und national angelegten Bildungsforschungsprojekten (z.B. PISA, IGLU, KESS, QUIMS) zeigen statistische Auswertungen, dass der Faktor „Migrationshintergrund“ ein wichtiger – wenngleich nicht alleiniger - Faktor für die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund darstellt und sie schlechtere Ergebnisse in der Lesekompetenz aufweisen. Die Vielzahl der quantitativen Daten erschloss den Zuhörenden nicht immer den Zusammenhang zum Tagungsthema Bildungssprache.
Anschließend zeigte Prof. Dr. Drorit Lengyel (Universität Hamburg) in ihrem Vortrag „Bildungssprache im Elementarbereich“ anhand von teilnehmenden Beobachtungen mit Kita-Kindern, Ansätze von Bildungssprache im Elementarbereich sowie Möglichkeiten, diese spielerisch aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Der Vortrag stellt anschaulich anhand von vielen, auch sehr amüsanten O-Tönen der Kinder dar, dass schon in diesem Alter wichtige Bausteine für die Bildungssprache gelegt werden. Ein Beispiel: Die Interviewerin fragt: „Warum suchen Josef und Maria denn nach einem Schlafplatz?“ Das Kind antwortet: „Weil die nich mehr gehen konnte - weil die/ähm – die hatte was im Bauch.“ Die Interviewerin fragt: „Wie sind denn die beiden unterwegs?“ Das Kind antwortet: „Mit eine Bus?“ Dieses Beispiel (das im Original länger ist) zeigt, wie Kinder Wortbedeutungen aushandeln, Hintergründe klären und Vermutungen äußern. Die „Bildung“ von Bildungssprache kann also als ein lebenslanger Prozess betrachtet werden.
Am zweiten Veranstaltungstag stellte Linda Riebling (Uni Hamburg) erste Ergebnisse ihres Promotionsvorhabens „Sprachliche Bildung in naturwissenschaftlichen Fächern“ vor. In einer quantitativ angelegten Studie hat sie mittels Fragebögen bei Lehrenden von naturwissenschaftlichen Fächern (Biologie, Chemie, Physik) an unterschiedlichen Hamburger Schulen und Schulformen erhoben, wie Lehrende sprachliche Bildung in ihrem Fachunterricht umsetzen und wie sie ihren Unterricht dementsprechend gestalten. Aus der Auswertung und Analyse der Daten zieht sie erste Schlussfolgerungen: Die Sprachbildung in naturwissenschaftlichen Fächern hängt von engagierten Einzelpersonen ab, die in ihrem Kollegium eine „Vorreiterrolle“ einnehmen. Es zeigt sich auch, dass Fachlehrende an Schulen, in denen sprachförderliche Maßnahmen und Aktivitäten im Rahmen von Schulentwicklung stattfinden eine größere Resonanz bezüglich durchgängiger Sprachbildung erfahren und hierbei auf Unterstützung zurückgreifen können. Linda Rebling konnte in ihrer Untersuchung feststellen, dass Unterricht meistens in leistungsrelevanten Situationen wie z.B. Prüfungen Bildungssprache voraussetzt, ohne diese im Unterricht explizit zu fördern.
Am Vor- und Nachmittag wurde in drei parallel stattfinden Workshops gearbeitet:
Im ersten Workshop „Frühkindliche Sprachentwicklung“ (Prof. Dr. Elke Montanari, Universität Heidelberg) ermittelten die Teilnehmenden anhand einer Videosequenz, die eine Erzählung eines Kindes mit Deutsch-als-Zweitsprache zeigte, die vorhandenen sprachlichen Kenntnisse und vollzogenen Entwicklungsschritte sowie Möglichkeiten der sprachlichen Förderung.
Der zweite Workshop „Bilinguale Kinder beim Fremdsprachenerwerb“ wurde von Dr. Kerstin Göbel (Universität Wuppertal) geleitet und informierte über aktuelle Befunde der empirischen Bildungsforschung zum Fremdsprachenlernen von Schüler_innen mit Migrationshintergrund. Im Workshop wurde erörtert, in welcher Weise eine Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit im Kontext von Fremdsprachenunterricht gefördert werden kann und Schüler_innen unterschiedlicher Sprachlernerfahrungen davon profitieren können.
Der dritte Workshop „Sprachliche Bildung unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit“ – geleitet von Prof. Dr. Inci Dirim (Universität Wien) – zeigte anhand von transkribierten Unterrichtsgesprächen zwischen Schülern eindrucksvoll die sprachliche Kreativität von mehrsprachigen Kindern in unterschiedlichen Unterrichtskontexten –wenn Mehrsprachigkeit im Unterricht durch Lehrende zugelassen und gefördert wurde. Mehrsprachigkeit zu fördern bedeutet im Schulalltag zunächst einmal das Sprechen und Verwenden anderer Sprachen unter den Schüler_innen zuzulassen und nicht zu verbieten. Wenn Schüler_innen andere Sprachen als Deutsch im Unterricht verwenden, wird dies als Ausgrenzung anderer Schüler_innen bewertet und Lehrende haben oft das Gefühl eines „Kontrollverlusts“, wenn sie nicht verstehen, was gesagt wird. Eine wertschätzende Haltung gegenüber allen Sprachen fördert Mehrsprachigkeit. Auch ein gemeinsam ausgehandeltes Kommunikationssystem im Klassenraum (z.B. wann welche Sprachen von wem wofür verwendet werden) kann ein erster Schritt für einen wertschätzenden Umgang mit Mehrsprachigkeit sein.
Fazit
Bezüge zum Thema Bildungssprache am Übergang Schule-Beruf bzw. zum berufsbezogenen Deutsch gab es keine. Schwerpunkt der Forschungs- und Praxisansätze liegt beim Thema Bildungssprache noch immer im Bereich der Elementar- und Sekundarbildung. Hier zeigen Forschung und Praxis deutlich auf, dass bildungssprachliche Kenntnisse und Fähigkeiten für den Bildungserfolg maßgeblich sind. In leistungsrelevanten Situationen wie Prüfungen oder beim Lesen, Verstehen und Verfassen von Texten wird Bildungssprache voraussetzt, den Lehrenden gelingt die Förderung aber noch immer nicht durchgängig. Dies gilt sicherlich auch für den Bereich der beruflichen Qualifizierung.
Die „Verantwortung“ für Sprachförderung und die Entwicklung von Bildungssprache lässt sich nicht auf den Elementar- und Sekundarbereich beschränken und sollte auch in beruflicher Weiterbildung integriert angeboten und durchgeführt werden. Alle Lehrenden – auch die Fachlehrenden- sind gleichermaßen gefordert Sprachförderung durchgängig im Fachunterricht zu integrieren, um eine „erfolgreiche“ Qualifizierung von Menschen mit Deutsch-als-Zweitsprache zu gewährleisten.
Dennoch lassen sich viele methodische Anregungen aus der Elementar- und Sekundarbildung für das Handlungsfeld der integrierten Sprachförderung ziehen.
Zu diesen Anregungen gehörte nicht zuletzt auch der eindrucksvolle Einsatz der Methode des „Graphic Recordings“, mit der die Vorträge und Workshops visuell dokumentiert wurden. Durch das Graphic Recording werden Informationen und Ideen zeichnerisch mit Hilfe von Metaphern und Wissenslandkarten sichtbar gemacht und Ergebnisse zusammenfassend festgehalten. (Hier ein weiterführender Link zu der gedächtnisunterstützenden mehrkanaligen Methode des „Graphic Recording“) Die so entstandenen „visuellen Protokolle“ und „Vortragsbilder“ werden demnächst auf der Seite des FörMig-Kompetenzzentrums bereit gestellt.
Die Tagung besuchte Tatiana La Mura Flores.