Die Good Practices Konferenz des europäischen Lifelong Learning Programm-Netzwerks ILLIAD
Im ILLIAD-Netzwerk „Intercultural Language Learning for Illiterate Adults“ kooperieren 14 Institutionen aus 12 Ländern mit dem Ziel der qualitativen Verbesserung und Erweiterung von Fremdsprach- und Zweitsprachlernmöglichkeiten für Menschen mit funktional nicht ausreichenden Lese- und Schreibkenntnissen. Entsprechend vielfältig war auch das Programm der Konferenz, die unter dem Titel "Foreign tongues- Achieving literacy in a foreign language amongst illiterate adults." vom 11. bis 12. Oktober in Berlin stattfand, gestaltet. Der Vormittag des ersten Konferenztages bot den rund 80 Teilnehmenden anregende Fachvorträge:
Nach dem freundlichen Grußwort durch Jens Reimann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) legte Dr. Alexis Feldmeier (Dozent am Germanistischen Institut der Universität Münster und Vorstandsmitglied des Bundesverbands für Alphabetisierung) eine ernüchternde Kurz- Analyse der eher grimmigen Realität der Alphabetisierungspädagogen in Deutschland vor. Im Hauptvortrag berichtete Linda Parker, Direktorin der britischen Association for Language Learning, von positiven Beispielen aus der Praxis zur Inklusion von Bildungsbenachteiligten mit und in Fremdsprachenlernen.
Alexis Feldmeier, der das Curriculum für den Integrationskurs mit Alphabetisierung verfasst hat, legte rückhaltlos den Finger auf die Widersprüche, die die Erwachsenenbildung und insbesondere die Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit für Zweitsprachlernende in Deutschland prägen. Beispielsweise machte er auf darauf aufmerksam, dass für die Kursteilnehmenden maximal A2 nach dem GER innerhalb der 1200 Unterrichtsstunden plus 45 Stunden Orientierungskurs im Integrationskurs mit Alphabetisierung erreichbar ist, aber für die Niederlassungserlaubnis in Deutschland das B1-Zertifikat erforderlich ist. Dieses kann folglich von den meisten TN nicht erworben werden. Besonders betonte er die prekäre Lage der Dozenten (die Aufstellung der gezahlten Stundenhonorare bewirkte bei den internationalen Konferenzteilnehmern ein spürbares Erstaunen und Kopfschütteln) und die kaum vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten für die anspruchsvolle pädagogische Arbeit in den Alphabetisierungskursen. Diese Faktoren stehen im massiven Widerspruch zu den komplexen Herausforderungen des Alphabetisierungsunterrichts mit Zweitsprachlernenden, denen nur mit einer fundierten methodisch-didaktischen Qualifizierung zu begegnen ist. Eine angemessene Bezahlung müsste mit der Qualifizierung und Professionalisierung der Alphabetisierungspädagogen einhergehen, um so „teachers with vocation and profession“ für diese Bildungsaufgabe heranzuziehen und langfristig zu halten.
So gipfelte Alexis Feldmeiers Bilanz in einer Reihe von Forderungen, die sicher auch an seinen Vorredner vom BAMF mitgerichtet waren:
Neben der besseren finanziellen Ausstattung der Kurse und geeigneteren Prüfungen (beispielsweise Portfolios) bezogen sich die Forderungen auf bessere Arbeitsbedingungen für die Dozenten, auf mehr und fundiertere Ausbildungsmöglichkeiten (auch im akademischen Rahmen) und ein insgesamt ausgeschärftes Berufsbild des Erwachsenenpädagogen. Mit diesen „Imperativen“ eng verbunden ist das entschiedene Nein zum „freien Markt für Erwachsenenbildung“, dessen Bedingungen kontraproduktiv zu den nachhaltigen Bildungsprozessen wirken, die vor allem auch im Alphabetisierungsprozess mit Erwachsenen entscheidend sind.
Linda Parker kontrastierte in ihrem Vortrag „Policy, prejudice and positive practice: inclusion in language learning“ zunächst die feierlichen Aussagen des Europäischen Rats zu Interkultureller Kommunikation und zur Mehrsprachigkeit mit den Vorurteilen, denen sie bei ihren Fremdsprachenlernen-Projekten mit sozial benachteiligten Personen begegnete. Warum so viel Aufhebens darum machen, dass viele vor allem sozial marginalisierte Personen in der EU keinen Zugang zum Fremdsprachenlernen haben? Schließlich beherrschen sie noch nicht mal ihre Erstsprache korrekt. So lauteten nicht selten die ersten Reaktionen auch von Seiten engagierter Sozialarbeiter und Pädagogen, die Linda Parker und ihrem Projektteam während der EU geförderten ALLEGRO und VIVACE -Projekte entgegengebracht wurden.
Ziel der zwei aufeinander aufbauenden, zehn EU-Länder einschließenden Initiativen war es zum einen gerade bildungsbenachteiligten Personen die Zugänge zum Fremdsprachenlernen zu erleichtern und zum anderen die daraus resultierenden positiven Ergebnisse des Sprachenlernens zu evaluieren.
Linda Parker stellte in einer Reihe von Porträts Teilnehmende, die sie als „Learner from different starting points“ bezeichnetete, vor: Beispielsweise eine alleinerziehende Mutter, die in einer großen Sozialsiedlung in Nottingham lebt und dort im Community-Center einen Spanischkurs besuchte oder einen Spanischlernenden, der in einer geschützten Werkstatt arbeitet. Die positiven Effekte, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Sprachenlernen stärkt das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen sowie die kommunikative Kompetenz und die Sozialkompetenz und trägt zur Horizonterweiterung, zu toleranteren Einstellungen und generell positiveren Haltungen zu Bildung und Lernen bei. Die Aussagen der Teilnehmenden belegen dieses das Leben anreichernde, Herzen und Köpfe berührende transformierende Erleben des Sprachen Lernens.
Literacy, Motivation und Methoden: Markt der Praxisbeispiele und Möglichkeiten
Nach dem Mittagslunch erwartete die Konferenzteilnehmenden ein reichhaltiges Good-Practice Buffet in Form von halbstündigen Intensiv-Workshops. Das Themenspektrum war weitgespannt.
Im Workshop Food-Literacy stellte Matilde Grünhage-Monetti vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) sowohl den Begriff und das Konzept wie auch das gleichnamige Grundtvig Projekt vor (siehe auch den ausführlichen Artikel zum Thema in diesem Newsletter). Gewürzt wurde der Workshop mit schmackhaften Lernaktivitäten, die zur Theorie dazu serviert wurden.
Einblicke in die Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit mit Migrantinnen gab Elisabeth Mörnerud von der Hyllie Park Volkshochschule in Malmö. Im Schwerpunkt ihrer Präsentation stand die muttersprachliche Alphabetisierung, die gemeinsam mit Schwedisch für Immigranten, Lerntechniken und Lernberatungsangeboten die Lernenden dort sehr gut in ihren Lernprozessen unterstützt. Es ist leichter zu lernen, wenn ich verstehe, unterstreicht eine Teilnehmerin. Frauen arabischer Erstsprache waren in erster Linie diejenigen, die die L1 Kurse gefordert hatten.
Der Frage, wie Personen mit wenigen Schriftsprachkenntnissen beim Erwerb für den Arbeitsplatz relevanter Lese- und Schreibkompetenzen unterstützt werden können, ging Nina Jernberg vom Osloer Erwachsenenbildungszentrum nach. Als Methode bewährt hat sich ihrer Erfahrung nach der Einsatz von Portfolios, wobei authentische Materialien aus der jeweiligen Branche als Unterrichts- und Lerngrundlage benutzt werden. Hier der Link zum Portfolio (bisher leider nur auf Norwegisch) für Beschäftigte in der Gesundheits- und Pflegebranche.
Das besondere an den Portfolios ist, dass gemeinsam in einem etwa zweijährigen Erhebungsprozess mit den jeweiligen Fachleuten, mit Berufsausbildern wie Praktikern, die jeweils für die Branche erforderlichen Lese- und Schreibkompetenzen sowie die mathematischen und Computerbezogenen Kompetenzen beschrieben worden sind. Voraussetzung für diese schrittweise Kartierung der für die einzelnen Berufsfelder relevanten Grundfertigkeiten war wiederum der Referenzrahmen für Basic Skills, den VOX, die norwegische nationale Institution für lebenslanges Lernen erstellt hat (umfangreiche in Englisch aufbereitete Materialien dazu sind über die Website von VOX herunterladbar).
Der zweite Konferenztag war vor allem dem kollegialen Austausch in Open Space Foren gewidmet, um weitere Netzwerke und Projekte zu spinnen und zu initiieren. Schließlich sind EU geförderte Lifelong learning Programm Netzwerke, wie ILLIAD eines darstellt, ausdrücklich als Plattformen für die Zusammenarbeit von Bildungsakteuren und für die Generierung weiterer multilateraler Projekte und Partnerschaften ins Leben gerufen worden. Die Koordinatoren von ILLIAD rufen also zur weiteren Netzwerkbildung auf und sind gerne Projekten behilflich, die im Themenumfeld auf der Suche nach transnationalen Partner sind. Illiad stellt gern entsprechende Kontakte her.