Start >

Rezension: "Fremdsprachendidaktik" von Helene Decke-Cornill und Lutz Küster

Helene Decke-Cornill und Lutz Küster legen mit ihrer Einführung in die Fremdsprachdidaktik eine sehr umfassende Abhandlung zu verschiedenen historischen und gegenwärtigen Aspekten der Fremdsprachendidaktik vor, die nicht nur für Studierende lesenswert ist.

Die sehr übersichtlich gestaltete Monographie besticht durch mit Visualisierungen und Verschlagwortungen anschaulich dargestellte Inhalte. Marginalien am Rande der Abschnitte sowie Kästen, Tabellen und Schaubilder im Fließtext runden das Bild ab und entlasten die Textstrecken. Nicht zuletzt fällt die fundiert kritische Perspektive der beiden Autor_innen ins Auge. So wird etwa die „Testdiagnoseorientierung“ in der europäischen Sprachenpolitik ebenso hinterfragt wie die Tatsache, dass Sprachen unterschiedliche Bedeutungen und Status zugeschrieben werden: Während die Kolonialsprachen den Weg in den Fremdsprachenunterricht deutscher Schulen geschafft haben, wird die türkische Sprache, die in Deutschland von sehr vielen Mitbürger_innen gesprochen wird, bisher nur in Einzelfällen ins Regelangebot von Schulen aufgenommen.

 

Auch wenn es primär auf den schulischen Fremdsprachenunterricht ausgerichtet ist, stellt das Buch für Zweitsprachenlehrende, -didaktiker_innen und Interessierte ein umfassendes Grundlagenwerk dar: Darin lassen sich eher theoretische Ausführungen zum Verhältnis von Methodik und Didaktik sowie Texte zu Spracherwerbstheorien und Lerntechniken ebenso finden wie einige ganz konkrete Anregungen zu z. B. Wortschatz- und Grammatikarbeit. Jedes Kapitel schließt mit Aufgaben, die auf die Verständniskontrolle der Studierenden zielen und auch fachlich Interessierten zur Reflexion dienen können.

 

 

Worum geht es in den 14 Kapiteln des Buches?

 

 

In der ersten Einheit gelingt es Lutz Küster und Helene Decke-Cornill die Fremdsprachendidaktik im Verhältnis zu Didaktik und Fachdidaktik als Transformationswissenschaft zu verorten und anschließend die (bildungspolitische) Geschichte und heutige Bedeutung der drei häufigsten Schulsprachen (Englisch, Französisch, Spanisch) zu skizzieren.

 

Gegenstand der zweiten Einheit sind verschiedene Spracherwerbstheorien wie unter anderem Skinners auf den Strukturalismus rekurrierendes Behaviorismuskonzept und Krashen und Terrells einflussreiches Hypothesenmodell sowie die Kritik daran. Aktuelle kognitivistische und konstruktivistische Vorstellungen von Lernen werden dann ausführlich erörtert. Diesen liegt die Annahme zugrunde, dass Spracherwerb eine dynamische selbstorganisierte Aktivität von Lernenden darstellt, die u. a. durch Interaktionsprozesse und eine vielfältige Lernumgebung anregbar ist.

 

Daran anschließend widmet sich Einheit drei kognitiven und emotionalen Faktoren, die das Sprachenlernen beeinflussen sowie den Konsequenzen daraus für den Sprachunterricht.

 

In Einheit vier wird die bildungspolitische Geschichte des Fremdsprachenunterrichts fokussiert: Diese setzt bei Karl d. Großen an und führt die Leser_innen bis ins 20. Jahrhundert. Wie eng der Sprachunterricht mit politischen Bestrebungen verwoben ist, wird mit der Funktion des Unterrichts in verschiedenen Epochen und politischen Systemen belegt: So hatten Fremdsprachen im Nationalsozialismus einerseits einen schweren Stand, andrerseits waren sowohl der Unterricht als auch die Medien dort Transportmittel für die völkische „Wesenskunde“ und auch für faschistische Ideologien.

 

Einheit 5 geht auf verschiedene Unterrichtskonzeptionen und –methoden ein. Ausführlich wird die Kommunikative Wende sowie die Kommunikative Kompetenz als Unterrichtsziel erörtert. Beispielsweise werden Dell Hymes und Jürgen Habermas Vorstellungen von kommunikativem Handeln als kritische Wegbereiter für Piephos Ansatz der Kommunikativen Kompetenz erläutert. Bis heute, so die Autor_innen, wird jedoch der Begriff der kommunikativen Kompetenz deshalb kritisiert, weil darin Sprache, Gesprächssituationen und Unterrichtsräume fälschlich als herrschaftsfreie Räume vorausgesetzt werden.

 

Einheit 6 nimmt verschiedene Medien im Fremdsprachenunterricht in den Blick und diskutiert diese als Ressource und als mögliches „Problem“; wenn nämlich Medien nur zu Demonstrationszwecken eingesetzt werden, besteht die Gefahr des Erfahrungsverlusts.

 

Wie kann sprachliches Handeln im Unterrichtsraum mit den Lebenswelten von Lernenden in ein produktives Verhältnis gebracht werden? Dieser Frage widmet sich Einheit 7. Hier werden nach Definitionen von Kommunikation und Interaktion auch typische (unproduktive) Interaktionsmuster lehrerzentrierten Unterrichts illustriert, die es eher zu vermeiden gilt, und Kriterien für eine konstruktive Moderation des Unterrichtsgesprächs zu entwickelt. Als Alternative zu dergestalt lehrerzentrierten Interaktionen wird die Transformation des Sprachunterrichts in einen kooperativen Arbeits- und Handlungsraum dargestellt. Dieser Ansatz deckt sich u. a. mit den aktuellen Prämissen der Handlungs- und Teilnehmerorientierung für den Berufsbezogenen Zweitsprachenunterricht.

 

Fremdsprachenunterricht in der Grundschule und Bilingualer Unterricht werden schließlich als Beispiele für zukunftsträchtige Initiativen in Einheit 8 diskutiert, bevor in Einheit 9 europäische Sprachenpolitik und deutsche Bildungsstandards zum Thema gemacht werden: Kernelemente und Funktion des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens sowie des Europäischen Sprachenportfolios werden vorgestellt und einem kritischen Blick unterzogen: Das Kapitel schließt mit einer skeptischen Darstellung der aktuellen Sprachenpolitik, der Test- und Standardorientierung attestiert wird.

 

Wortschatz und Grammatik stehen als sprachliche Mittel, die eine zentrale Funktion für den Erwerb kommunikativer Kompetenzen haben, im Mittelpunkt von Einheit 10. Anschließend werden in Einheit 11 die fünf kommunikativen Teilkompetenzen Hör(seh)- und Leseverstehen, Sprechen und Schreiben sowie Sprachmittlung erläutert: Diese sind im Rahmen von Aufgaben und Handlungsorientierung zu fördern. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie auf möglichst realistische sprachliche Interaktionssituationen im Unterricht zielen. Das Kapitel schließt mit Ausführungen zur Problematik der (Un)Vereinbarkeit von Tests und Standardorientierung mit den Prinzipien der Lerner-, Handlungs- und Aufgabenorientierung.

 

Methodenkompetenzen und Lerntechniken von Sprachenlernenden stehen ebenso wie Lernerautonomie im Zentrum von Einheit 12. Beispiele für Lernstrategien als vom Lernenden erlernbares Hilfsmittel und auch für von Lehrenden zu vermittelnde Lerntechniken sind anschaulich in Tabellen abgebildet.

 

 

Interkulturelles Lernen (Einheit 13) und Literaturdidaktik (Einheit 14) haben gemeinsam, dass dadurch Perspektivenwechsel und fragende Grundhaltungen initiiert werden können. Mit der Diskussion der Bedeutung dieser Bereiche und mit verschiedenen Anregungen zur entsprechenden Unterrichtsgestaltung schließt das Buch.

 

 

Kommentar:

 

Es gibt viele Gründe, dieses Buch anzuschaffen – nicht zuletzt den, dass es Fremd- und Zweitsprachendidaktiker_innen umfassendes Wissen zur Verfügung stellt und sich auch ausgesprochen gut liest. An manchen Stellen wäre ein etwas ausführlicherer Bezug zur Zweitsprachendidaktik wünschenswert gewesen,

denn diese unterscheidet sich doch aufgrund der Zielgruppen und der meist staatlichen Förderprogramme, in deren Rahmen sie umgesetzt wird, punktuell von der Fremdsprachendidaktik. Eine Integration von zweitsprachendidaktischen Ansätzen in den schulischen Fremdsprachenunterricht ist schon deshalb sinnvoll, weil in vielen Schulen Schüler_innen mit Migrationshintergrund einen Großteil der Schülerschaft ausmachen: Für diese Schüler_innen ist der Deutschunterricht häufig Zweitsprachenunterricht und der Fremdsprachenunterricht kann für sie eine ihrer Muttersprachen beinhalten; darüber hinaus kann das Erlernen von Sprachen wie etwa Englisch oder Spanisch auch bedeuten, dass sprachlernungewohnte und nicht im Deutschen alphabetisierte Schüler_innen im Vergleich zu Kindern aus deutschen bildungsbürgerlichen Elternhäusern (die Englisch oft schon aus Radio und Fernsehen kennen) völlig mit den zusätzlichen sprachlichen Anforderungen überfrachtet werden. Folglich könnte die Fremdsprachendidaktik in manchen Aspekten von der Zweitsprachendidaktik profitieren: In Bezug auf verschiedene methodische und didaktische Aspekte und auch auf die Umsetzung von Alphabetisierungsmaßnahmen geht die Zweitsprachendidaktik deutlich auf mehrsprachige Lernende mit unterschiedlichen Bildungshintergründen ein. Nicht zuletzt wäre in einer Einführung in die Fremdsprachendidaktik auch ein Abschnitt zum berufsorientierten Fremdsprachenunterricht sinnvoll, zumal sich dort oft bildungssprachliche, fachsprachliche und fremd- bzw. zweitsprachliche Anforderungen überschneiden.

 

Die beschriebenen „Lücken“ im Buch stellen dennoch keinen eklatanten Mangel dar, sondern eher eine Aufforderung zum Übertragen, Weiterdenken und –forschen. Und auf diesem Weg ist die Einführung in die Fremdsprachendidaktik ein erfreulicher Meilenstein!

 

Das Buch rezensierte Bettina Kleiner