Mit einer politischen Forderung können sehr unterschiedliche Haltungen und Wertesysteme verknüpft sein und sie kann für ganz unterschiedliche Zwecke instrumentalisiert werden. Dies zeigt sich in den letzten Monaten immer wieder am Beispiel von Pressemeldungen über Urteile von Arbeitsgerichten wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Wiederholt wurde darüber berichtet, dass Arbeitgeber Migrant_innen wegen angeblich unzureichender Deutschkenntnisse kündigen.
Die zunächst auf die Arbeitsmarktintegration von Migrant_innen zielende Forderung der Einführung Berufsbezogener Deutschkurse wird nun erstens als Argument dafür genutzt, Migrant_innen immer wieder mangelnde Sprachkenntnisse anzulasten (ob dieser Mangel wirklich besteht oder nur vorgeschoben ist, lässt sich häufig nicht ohne Weiteres bestimmen) und damit einen Kündigungsgrund zu erzeugen oder ihnen die Einstellung zu verweigern. Zweitens wird mit der Begründung des „Sprachdefizits“ ein repressives gesellschaftliches Klima verbunden mit dem „Zwang“ zur Teilnahme an Deutschkursen erzeugt.
Der Artikel zur "Deutschkursverweigerung" in Jobs-Kompakt
Auch in „Kündigung für Deutsch-Kurs-Verweigerer“ (www.JOBS-KOMPAKT.de vom 23.3.2010) wird das Urteil zuungunsten einer Kroatin als äußerst berechtigt dargestellt. In diesem Fall hatte die Angestellte ihren Arbeitgeber aufgrund seiner Forderung, sie solle einen Deutschkurs machen, verklagt. Die in dem Bericht vermittelte Befürwortung des Urteils des Landesarbeitsgerichts Kiel wird mit einer Blitzumfrage unterstrichen, bei der 70% der zu diesem Thema Befragten eine Deutsch-Pflicht für Arbeitnehmer_innen mit Migrationshintergrund fordern. Hier geht es folglich nicht um Partizipation und um die Rechte von Migrant_innen, sondern um deren Pflicht, vermeintliche Sprachdefizite zu beseitigen und damit um die Migrant_innen zugeschriebene Bringschuld.
Berufsbezogenes Deutsch: Inklusion oder Exklusion?
Die programmatische Forderung des bundesweit agierenden Netzwerks für Integration und Qualifizierung (IQ) nach Berufsbezogenen Deutschkursen für Migrant_innen gründet hingegen auf der Idee, Partizipation (nicht nur) am Arbeitsleben zu ermöglichen und Zugang zu qualifizierter Arbeit zu erleichtern. Im Rahmen dieser Diskussionen gehen wir jedoch von der freiwilligen Teilnahme der Migrant_innen an solchen Maßnahmen aus und Berufsbezogene Deutschkurse werden unter dem Motto „Recht auf Weiterbildung und Arbeit“ gefordert.
Der Tenor in dem hier abgebildeten Pressebericht ist offensichtlich ein gänzlich anderer: Deutschkurse werden als Obligation gesehen, zu der Arbeitgeber auffordern dürfen und deren Verweigerung Konsequenzen hat und haben soll (nämlich die Kündigung). Die im Artikel zitierten Personen stimmen mit dieser Sicht der Dinge überein und verleihen dem Thema darüber hinaus einen überaus emotionalen Anstrich. Sogar von Schamgefühlen gegenüber den eigenen Landsleuten, die einfach „nicht versuchen, die deutsche Sprache zu erlernen“ ist die Rede.
Bezeichnenderweise kommt jedoch keiner von den „Sprachkursverweigerern“ selbst zu Wort; deren Beweggründe, Biographien und eigene Stimmen bleiben verborgen.
In dem schlicht argumentierenden und vor allem an Emotionen der Leser_innen appellierenden Artikel wird vor allem eins deutlich, nämlich der in Deutschland weiterhin vorherrschende und auf Assimilation zielende politische Diskurs, der ihm zugrunde liegt: Demnach müssen sich Migrant_innen ihrer „Ursprungssprache gewissermaßen entledigen und die Sprache der „aufnehmenden“ Gesellschaft übernehmen“ (Mecheril/Quehl 2006:355)[1], um sich „integrieren“ zu können.
Sprache(n), Nation, Staat
Die im Titel „Kündigung für Deutsch-Kurs-Verweigerer“ angelegte Analogie zur Wehrdienstverweigerung drängt sich auf.
Auch Wehrdienstverweigerung kann sowohl als Bürgerrecht als auch als Absage an die Notwendigkeit bzw. Pflicht, die Grenzen des Nationalstaats zu verteidigen, gelesen werden. Der Assoziationszirkel Rechte-Pflichten-Nationalstaat wird im anhängenden Artikel nun passend zum Titel auf das Sprachenlernen übertragen, wobei beim Lesen schnell deutlich wird, dass es hier um Deutschlernen im Sinne der Pflicht, ein Defizit zu beseitigen, geht. Die Verweigerung dieser Pflicht führt nicht nur zu Konsequenzen für die Desertierenden, sondern wird gar als beschämend dargestellt. An dieser Stelle zeigt sich, was Paul Mecheril schon anderenorts erläutert hat: An den Ängsten, die bei der Vorstellung ausgelöst werden, die deutsche Sprache könne in Deutschland ihre Vorrangstellung verlieren, lasse sich ablesen, wie sehr die Vorstellung des Zusammenhangs von Sprache, Nation und Kultur als sich wechselseitig hervorbringende Einheiten auch heute Grundlage vieler Affekte und Argumentationen ist. Diese Ängste, so Mecheril & Quehl, zeigen jedoch ein Phänomen an, das keineswegs natürlich ist: In der Korrespondenz von sprachlicher, nationaler und staatlicher Einheit konstituieren sich nämlich Sprache, Nation und Staat erst. (ebd. 363 ff.)
Ein solch monolithisches Verständnis der Einheit von Sprache, Kultur und Nation ist fragwürdig und unzeitgemäß: In modernen Gesellschaften bilden sich beständig und über ganz verschiedene Gemeinsamkeiten Kulturen und Subkulturen heraus, die sich keineswegs an sprachlichen oder nationalen Grenzen orientieren.
Sprach- und Sprechweisen und unterschiedliche Werte der Anerkennung
Gleichzeitig verhandeln aber nationalstaatliche Gesellschaften in politischen und alltäglichen Diskussionen über Migration und „Sprachdefizite“ Wertesysteme, Ordnungen und Grenzziehungen. Im kommentierten Artikel zeigt sich dabei einer der Mechanismen, mit denen legitimer und illegitimer Sprachgebrauch erst hervorgebracht wird: Während in Deutschland eine Vielfalt gesellschaftlicher Sprachen und Sprechweisen existiert, werden gleichzeitig verschiedenen Sprach- und Sprechweisen unterschiedliche Werte der Anerkennung zugeordnet. So ist es hier zwar durchaus legitim, sich auf Englisch zu verständigen, jedoch ist es keinesfalls legitim, nur Türkisch oder Kroatisch zu sprechen oder in einem „gebrochenen“ Deutsch zu kommunizieren. Ob es der Realität entspricht oder nicht, werden im letzten Fall „Probleme bei der Verständigung“ diagnostiziert. Dieser Unterscheidung in respektables Deutsch und nicht respektables Deutsch haften Assoziationen an, die häufig gar nicht allein mit Sprache zu tun haben.
Die Konstruktion kultureller "Probleme" und rassistische Unterscheidungen
Eher liegt hier der Verdacht nah, dass die nach außen behaupteten „kulturellen Probleme“ – die gemäß hier herrschender Diskurse vermutlich eher einem türkischen, kroatischen oder afrikanischen als einem französischen Mitbürger zugeschrieben werden - lediglich auf eins verweisen: nämlich auf rassistische Unterscheidungen, die nun durch den Bezug auf das Konstrukt der „kulturellen Differenz“ oder „sprachlichen Defizite“ gewissermaßen verkleidet daherkommen. Mit dem vermeintlichen Mangel an Kommunikationsfähigkeit, der bestimmten Migrant_innen angelastet wird, lässt sich so legitimieren, dass deren Integration nicht funktioniert.
Ein Perspektivenwechsel ist notwendig
„Integrationsbereitschaft“ erfordert auch den Perspektivenwechsel der Aufnahmegesellschaft sowie deren Bereitschaft, sich mit sprachlicher und kultureller Vielfalt auseinanderzusetzen. Dazu gehört ein Verständnis von Sprachunterricht und Lernberatung, das sowohl die Ressourcen und Bedürfnisse als auch die Ängste und Widerstände der Teilnehmenden berücksichtigt und Ernst nimmt. „Zwangseinweisungen“ in Deutschkurse sind weder dem Unterricht noch der Integration zuträglich.
Bleibt zu dem tendenziösen Artikel nur noch eins zu sagen: Dem Autor_en selbst ist wohl der Besuch eines Deutschkurses zu empfehlen, bevor er solche Texte veröffentlicht: „Deutsch-Kurs-Verweigerer“ wird nämlich auch nach der letzten Rechtschreibreform keineswegs mit zwei Bindestrichen geschrieben.
Bettina Kleiner
Fundstellen als pdf zum Downloaden
zum Titel: Weiterbildung lohnt: Deutsch (442 KB)
zum Artikel: Kündigung für Deutsch-Kurs-Verweigerer (458 KB)
[1] Mecheril, Paul & Thomas Quehl 2006: Die Macht der Sprachen. Münster, New York: Waxmann