Zielgruppe der rund 185 Seiten langen Monographie sind vor allem Student_innen. Das Buch ist vor allem auf diese Leser_innengruppe ausgerichtet und wie folgt aufgebaut:
Nach einer Klärung der für dieses Feld grundlegenden Begriffe nimmt die Autorin Einblick in verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche, in denen Mehrsprachigkeit und das Zusammentreffen von Menschen mit verschiedenen Muttersprachen von zentraler Bedeutung ist. Dass Sprachen nicht immer ein gleichermaßen anerkanntes soziales Kapital darstellen, sondern hierarchisiert bewertet werden, wird dabei durchgehend berücksichtigt. Die von der Autorin Ingrid Piller zur Illustration des Themenfeldes herangezogenen Untersuchungen kommen zum großen Teil aus dem englischsprachigen und europäischen Ausland. Ihre analytische Herangehensweise ist informiert durch soziolinguistische, konstruktivistische und diskursanalytische Ansätze. Darüber hinaus zeichnet sich das Studienbuch durch eine postkoloniale und rassismuskritische Perspektive aus und trägt damit den Titel kritische Einführung sehr berechtigt.
Das gut verständlich geschriebene Buch besteht aus insgesamt 11 Kapiteln, die mit grundlegenden Überlegungen zu den Begriffen Sprache, Nation, Kultur und interkulturelle Kommunikation beginnen, um dann verschiedene Untersuchungen zu konkreteren Aspekten interkultureller Kommunikation (am Arbeitsplatz, im Kontext von Werbung, im Zusammenhang mit Liebesbeziehungen und im Verhältnis zu Ausgrenzung und Rassismus) zu besprechen. Es schließt mit einigen programmatischen Überlegungen zur Zukunft interkultureller Kommunikation, wobei die Autor_in nicht vergisst, auf die Gefahr hinzuweisen, dass Kultur häufig eher essentialisiert als hinterfragt wird. Konsequenterweise liegt dem Buch die These zugrunde, dass Kultur ein Verb sei (doing culture) und somit „getan“ werden muss und analog dazu lautet die Leitfrage, die den Blick auf verschiedene Phänomene und vorliegende Studien schärft:
Wer macht Kultur wem gegenüber mit welcher Absicht und in welchem Kontext relevant?
Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einer Auflistung der Zielsetzungen und enden mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen, Literaturempfehlungen (zu den zentralen Autoren hauptsächlich im englischsprachigen Raum) und möglichen Arbeitsaufträgen für Studierende. Im Hauptteil der Kapitel werden zentrale Aspekte oder Themenfelder interkultureller Kommunikation anhand von Beispielen oder Fallstudien erörtert. Diese verleihen diesem Fach- und Studienbuch Buch eine große Anschaulichkeit.
Mehrere Abschnitte und Fallstudien in dem Buch beziehen sich auf das Themenfeld Zweitsprache/Mehrsprachigkeit und Arbeitsmarkt, das auch den Schwerpunkt der hier vorliegenden Rezension bildet.
Im ersten Kapitel geht die Autorin auf ihr Verständnis von „interkultureller Kommunikation“ ein, die sie als Bestandteil und Folge der Globalisierung und transnationaler Migrationsprozesse definiert. Das Zusammenkommen verschiedener Sprachen stellt natürlich einen zentralen Aspekt von IKK dar. Darüber hinaus wird IKK als eine Matrix definiert, wo mehrere Achsen wirksam werden: Sprachenlernen/Sprachkompetenz sowie Stereotype in Bezug auf „kulturelle Eigenheiten“ und die diskursive Konstruktion von Identitäten überschneiden sich demnach mit Fragen sozialer Gerechtigkeit.
Das zweite Kapitel widmet sich vor allem dem Kulturbegriff und der Definition interkultureller Kommunikation. Anhand von Gesprächsauszügen aus einer Studie und Zitaten nationaler Websites wird das dort jeweils vertretene Kulturkonzept einer kritischen Untersuchung unterzogen. Kultur, so das Ergebnis, ist ein ideologisches Konstrukt und häufig werden Differenzen zu schnell als „kulturelle“ eingeordnet anstatt die Themen und Verhältnisse zu untersuchen, die Differenzen und Konflikte verursachen. Im dritten Kapitel wird eine Genealogie des Kulturbegriffs und des Konzeptes der interkulturellen Kommunikation nachgezeichnet. Hier werden Zusammenhänge zwischen der Genese des Kulturbegriffs mit Kolonialisierung sowie Globalisierung dargestellt. Ein Verständnis von Kultur als einer („primitiven“ oder „komplexen“) Lebensweise von Menschen entstand, wenig überraschend, im Zusammenhang mit der Entwicklung moderner Nationalstaaten, industrieller Revolution, Kolonialismus und seiner aktuellen Erweiterung, der Globalisierung (vgl. Piller 2011:21). Anhand alter Quellentexte werden diese Zusammenhänge belegt. Folgt man diesen Überlegungen, wirft dies unweigerlich die Frage auf, ob, wie und wofür man den Kulturbegriff überhaupt gebrauchen sollte bzw. ob er überhaupt zeitgemäß ist.
Nachdem in den Kapiteln 4 und 5 Zusammenhänge von Sprachen und Kulturen sowie von Nationen und Kulturen diskutiert wurden, geht Kapitel 6 vor allem auf interkulturelle Kommunikation in transnationalen Firmen ein. Am Beispiel von verschiedenen Studien zu IKK am Arbeitsplatz wird hier aufgezeigt, wie willkürlich ein bestimmtes Verständnis von (National)Kultur als Erklärung herangezogen werden kann: So wurde zum Beispiel laut einer Studie zu den Effekten einer Firmenfusion finnischer und schwedischer Firmen „Kultur“ häufig als Erklärung für Fehler benutzt, während Erfolge nicht der Kultur, sondern eher der Geschäftsleitung zugeschrieben wurden. Weiter wird mit einer Untersuchung des Sprachenmanagements in einem transnationalen Konzern aufgezeigt, wie Sprachpolitik und Kompentenzmanagement in einem Unternehmen zu Privilegien bzw. Nachteilen führen können, die die eigentliche Organisationsstruktur der Firma unterlaufen. In der angeführten Studie wird etwa beschrieben, wie ein Mitarbeiter aufgrund seiner Sprachkompetenzen plötzlich Verantwortungsbereiche zugewiesen bekommt, die eigentlich nicht Teil seines Aufgabenbereichs waren. Vive versa wurde Sprache wiederum zur Barriere wenn etwa Mitarbeiter_innen des spanischen Betriebsteils innerbetriebliche Weiterbildungen aufgrund mangelnder Englischkenntnisse nicht besuchen konnten. Am Beispiel von Callcenter-Mitarbeiter_innen, die mit ausländischen Kund_innen telefonieren wird zuletzt erörtert, wie sehr diese ihr kommunikatives Verhalten am Telefon dem Kunden anpassen müssen und dass zur professionellen „Telefon-Identität“ auch akzentfreies Sprechen gehört.
Im neunten Kapitel geht es nach der Besprechung der Bedeutung von interkultureller Kommunikation in der Werbung und im Verkauf (Kapitel 7) und in transnationalen Liebesbeziehungen (Kapitel 8) erneut darum, wie Sprache zur Barriere auf dem Arbeitsmarkt werden kann. Das Argument „mangelnde Sprachkompetenz“ wird nicht selten benutzt, um Menschen den Zugang zu qualifizierter und sinnstiftender Arbeit zu verweigern. Piller führt verschiedene Untersuchungen an, in denen deutlich wird, dass Immigrantinnen aufgrund von Herkunft, Aussehen und/oder Dialekt qualifizierte Arbeit verweigert wird. Während Männern dann häufig noch der Ausweg in Bereiche der Produktion oder in handwerkliche Tätigkeiten bleibt, sind Frauen auch diese Bereiche verschlossen, was wiederum auf Verschränkungen von Ethnisierung, Rassifizierung und Gendering von Arbeit hinweist. Sie stellt darüber hinaus fest, dass sprachliche Diskriminierung häufig Rassismus „ersetzt“, vor allem wenn dieser, wie etwa in Australien, Kanada und den USA gesetzlich geahndet werden kann. Diese Art des Ausschlusses von Migrant_innen von qualifizierter Arbeit kann durchaus einer Logik folgen, wenn dadurch etwa Migrant_innen für niedrig bezahlte Arbeiten „reserviert“ werden, für die ein Fachkräftemangel herrscht. Wenn sinnvolle und angemessene Arbeit jedoch als zentrales Moment gesellschaftlicher Inklusion verstanden wird, muss die Arbeitsmarktpolitik eben solche Missstände bearbeiten. Eine sinnvolle sprachliche Integration könnte Sprachkurse, die Versorgung mit mehrsprachigen Infomaterialien und die Förderung von minorisierten Sprachen beinhalten und müsste von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen begleitet sein, die Migrant_innen den Zugang zu qualifizierter Arbeit erleichtern.
Das zehnte Kapitel widmet sich schließlich Sprachideologien und diskursiv erzeugter Sprachlosigkeit. Häufig wird selbst in Situationen, in denen Menschen auf der Flucht sind oder wo sie deportiert werden und nicht in ihrer Muttersprache kommunizieren können, das Defizit den Sprecher_innen anderer Sprachen zugeschrieben und damit zugleich deren Unterlegenheit manifestiert. Deutlich wird hier erneut, inwiefern Sprachen und die Möglichkeit zu kommunizieren oder aber das Jemandem-die-Kommunikation-Verwehren mit Macht zusammenhängen und dass letzteres schon zur Zeit der Kolonisierung ein Gewaltinstrument darstellte.
Bezogen auf die Zukunft „interkultureller Kommunikation“ plädiert Piller abschließend für eine stärkere Integration von Fragen interkultureller Kommunikation mit solchen sozialer Gerechtigkeit. Zudem seien vor allem ethnographische Studien zu interkulturellen Kommunikationssituationen im jeweiligen Kontext notwendig.
Das Buch antwortet auf der Grundlage empirischer Untersuchungen auf viele der Fragen und Überlegungen, die in den letzten Jahren auch in Bezug auf das Feld Deutsch am Arbeitsplatz angestellt wurden. Die für die Beweisführung angeführten Studien lassen sich mit Sicherheit nicht ohne Weiteres auf die hiesigen Verhältnisse übertragen, liefern aber dennoch wichtige Anhaltspunkte für weitere wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Feld und konkret dafür, welche Fragen man mit welchen Methoden beforschen könnte. Darüber hinaus fordert die Publikation zur Reflexion selbstverständlich gewordener Begriffe und Konzepte wie etwa „Nation“ oder „Kultur“ heraus und liefert konkrete Hinweise darauf, wie man sich den damit verbundenen Fragen annähern kann, ohne zu essentialisieren. Ein integraler Bestandteil dieser Reflexivität, dafür plädiert Piller am Ende des Buches, ist es, die eigene Position zu hinterfragen. Das Fremde bei sich selbst zu suchen sei wichtiger als vermeintlich „andere Kulturen“ zu verstehen.
In vielerlei Hinsicht ist dieses Buch sowohl für Praktiker_innen als auch für Wissenschaftler_innen eine ausgesprochen anregende Lektüre. Für hiesige Verhältnisse ist es eher ungewöhnlich, dass es aus einer sehr subjektiven kritischen Perspektive verfasst ist, da in Deutschland wissenschaftliche Texte häufig eher mit dem Nimbus einer vermeintlich „neutralen Position“ einhergehen. Die Perspektive der Autorin wird hier jedoch konsequent offengelegt und damit lässt sich ihre Argumentationsführung sehr gut nachvollziehen. Nicht zuletzt ist die Einführung anschaulich und sehr gut zu lesen und hat durch die angeführten Quellenauszüge und Fallstudien auch einen wirklichen Unterhaltungswert.
Rezensentin: Bettina Kleiner