Sprachberatung vor Ort: Spezialisiertes Fallmanagement im Jobcenter Herford

Der Kreis Herford verfügt bereits seit 2005 über ein spezialisiertes Fallmanagement (FM) Arbeit und Sprache, das seit 2008 direkt in die Maßnahmeplanung der Arge bzw. des Jobcenter im Kreis Herford integriert ist. Bundesweit einzigartig ist die Besetzung mit einer Fachkraft aus dem Bereich Deutsch als Zweitsprache, die über Lehr- und Prüferfahrung in Integrationskursen und berufsbezogenen Deutschkursen verfügt.

 

Besonderheiten im ländlichen Raum bezogen auf die Lebenssituation von Migrant_innen

 

Im Kreis Herford im Nordosten von Nordrhein-Westfalen leben ca. 250 000 Menschen, davon rund 64 500 in der Stadt Herford. Die SGBII-Quote im Kreis Herford beträgt ca. 8,7 %, die Quote unter den hier lebenden Ausländern jedoch ca. 25,5 % und ist damit knapp dreimal so hoch wie die SGBII-Quote insgesamt. Vorrangige Herkunftsländer sind die Türkei und die GUS-Staaten, bei Deutschen mit Migrationshintergrund handelt es sich vor allem um Spätaussiedler und deren Angehörige. Möbelindustrie, Maschinenbau und Modeunternehmen charakterisieren die Wirtschaftsstruktur, nur 1% beträgt der Anteil der Landwirtschaft. Anders als in Ballungszentren stellt Mobilität ein Problem für die Bevölkerung im ländlichen Raum dar: Wer auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen ist, benötigt z.B. für die 16 km-Strecke zwischen Herford und Vlotho bis zu einer Stunde Fahrtzeit, also insgesamt zwei Stunden pro Tag. Dies erschwert die Teilnahme an Maßnahmen, die nur an einem zentralen Ort durchgeführt werden können. Die Organisation von Kinderbetreuung oder die Kombination von Arbeit und Kursteilnahme stellen im ländlichen Raum ein Problem dar, das in dieser Form in Ballungsgebieten weniger gravierend ausfällt.

 

Sprachberatung durch das Fallmanagement Arbeit und Sprache

 

Zielgruppe des FM Arbeit und Sprache sind alle Personen aus dem ALGII-Bezug mit Migrationshintergrund und fehlenden Deutschkenntnissen oder Defiziten in der deutschen Sprache, die als gravierende Vermittlungshemmnisse bei der Integration in den Arbeitsmarkt betrachtet werden. Diese Kunden werden dem Fallmanagement Arbeit und Sprache von den persönlichen Ansprechpartnern und Fallmanagern des Jobcenter bei Bedarf gemeldet und es wird die Zielsetzung möglicher Sprachfördermaßnahmen geklärt:

  • Welche zusätzlichen Hemmnisse liegen vor, wird zum Beispiel ein Kurs mit Kinderbetreuung benötigt?
  • Müssen zunächst Basiskenntnisse der deutschen Sprache erworben werden?
  • Ist eine Alphabetisierung erforderlich?
  • Wird die Teilnahme an einer beruflichen Qualifizierungmaßnahme angestrebt, für deren erfolgreiche Absolvierung ein bestimmter Sprachstand erforderlich ist?
  • Möchte sich die Kundin/ der Kunde parallel zu einem Anerkennungsverfahren der bereits im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen über ergänzende Deutschfördermöglichkeiten informieren?

 

Anschließend erfolgt die Einladung des Kunden durch das FM Arbeit und Sprache zu einer Sprachberatung. Dort werden Kunden sowohl hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse getestet als auch unter Berücksichtigung von Lernvoraussetzungen, Bildungshintergrund, Berufswünschen, längerfristiger Zielplanung etc. beraten. Breiten Raum nimmt in diesem Beratungsdialog die Selbsteinschätzung bzw. Selbstwahrnehmung des Kunden ein. Dies bezieht sich nicht nur auf den Sprachstand, d.h. ob eine berufliche Weiterqualifizierung aus dem Regelangebot sprachlich bewältigt werden kann. Thematisiert werden auch bisherige Erfahrungen mit Schulungen und Lernen oder beispielsweise die Unterstützung durch das familiäre Umfeld.  

 

Konzeption einer eigenen Sprachstandserhebung 

 

Da ausschließlich schriftliche Multiple-Choice- oder C-Tests erfahrungsgemäß nicht hinreichend zur Erhebung der sprachlichen Kompetenzen von Zuwanderern geeignet sind, kombiniert das Fallmanagement Arbeit und Sprache Gespräch und kontextabhängige schriftliche Tests. Diese Form der Sprachstandserhebung bietet Vermittlern und Bewerbern eine valide und nachvollziehbare Entscheidungshilfe, ob zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt oder zur erfolgreichen Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme eine Sprachförderung vorgeschaltet werden sollte. Beruflicher Eignungstest und Deutschtest des Psychologischen Dienstes reichen oft nicht aus, Unsicherheiten hinsichtlich der Ziel- und Maßnahmeplanung für Kunden mit Zuwanderungsgeschichte auszuräumen. Das FM Arbeit und Sprache ergänzt diese Verfahren durch konkrete Einstufung und Zuweisung in passgenaue Sprachfördermaßnahmen und begleitet den gesamten Prozess der Deutschförderung bis hin zum Absolventenmanagement.  

 

FM Arbeit und Sprache als Koordinierungsstelle 

Durch den Einsatz einer Fachkraft für Deutsch als Zweitsprache innerhalb der Grundsicherungsstelle steht Jobcenter-Mitarbeitern und Kunden ein fachkundiger Ansprechpartner für eine Vielzahl von Detailfragen zur Verfügung, die Bewerber mit Migrationshintergrund betreffen. Darüber hinaus fungiert das FM Arbeit und Sprache als Mitglied in kommunalen und regionalen Netzwerken, als Schnittstelle zwischen Planungsgremien und Maßnahmeträgern sowie Migrationsdiensten und Behörden. Beispielsweise koordiniert das Fallmanagement Arbeit und Sprache einen regelmäßig stattfindenden Arbeitskreis Migration und Arbeitsmarktpolitik mit Mitarbeitern der Sprachkursträger, der Migrationsdienste, der Agentur für Arbeit und des Jobcenter sowie Vertretern der Ausländerbehörden und der Regionalstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. In diesem Forum können Probleme angesprochen und Lösungsvorschläge diskutiert werden, so dass Vernetzung und Kooperation im Kreis Herford gestärkt werden.  

 

Berufsbezogene ESF-BAMF-Kurse

 

Das Deutschkursangebot der Grundsicherungsstellen basiert – mit Ausnahme von einzelnen Arbeitsgelegenheiten mit Sprachförderanteilen – seit 2008 ausschließlich auf den Programmen des BAMF (Integrations- und ESF-BAMF-Kurse).

Dies erfordert ein erhöhtes Maß an Koordination und Kooperation zwischen allen Akteuren, da z.B. nicht nur geklärt werden muss, welcher Kurs in arbeitsmarktrelevanter Hinsicht zielführend ist, sondern ob eine Teilnahme rechtlich überhaupt möglich ist. Erfolgt diese Recherche für SGBII-Bezieher zentral im Jobcenter, bleiben den Kunden unnötige Wege und lange Wartezeiten auf Kurse erspart, Maßnahmeträger sind weniger mit Mehrfachanmeldungen respektive unterbesetzten und damit unterfinanzierten Kursen konfrontiert und erhalten größere Planungssicherheit, Verwaltungsabläufe – z.B. Integrationskursverpflichtungen - können aufeinander abgestimmt werden. Je nach Bildungsträger beträgt der Anteil von SGBII-Beziehern in Integrationskursen 30% bis 90%. Die Bündelung des Informationsflusses durch das FM Arbeit und Sprache für alle Jobcenter-Kunden trägt dazu bei, auch im ländlichen Raum ein breit gefächertes Angebot an Sprachkursen vorzuhalten und eine vielfältige Trägerlandschaft zu pflegen.

In enger Zusammenarbeit planen und besetzen die regionale Trägerkooperation im Fördergebiet Herford und das FM Arbeit und Sprache in Absprache mit der Agentur für Arbeit die berufsbezogenen Deutschkurse des ESF-BAMF-Programms. Da das FM Arbeit und Sprache im Bereich der SGBII-Maßnahmeplanung angesiedelt ist, können somit Kurskonzepte und Curricula den Bedarfen von Kunden – sowohl hinsichtlich des Sprachstandes als auch der beruflichen Ziele - dem allgemeinen Qualifizierungsangebot und den Erfordernissen des Arbeitsmarktes angepasst sowie kurzfristig nachjustiert werden. So können beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen modifiziert werden, wenn die Kompetenzfeststellungen neue Erkenntnisse hinsichtlich des Sprachstandes erbringen, oder es zeigt sich, dass aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktentwicklung eine erhöhte Nachfrage nach einer bestimmten Kursart oder einem spezifischen Berufsfeld besteht.

Mit der Mitgliedschaft des FM Arbeit und Sprache in bundesweiten Facharbeitskreisen wird der Transfer zwischen Verwaltungen, Bildungsträgern und Experten auf dem Feld der Sprachförderung ermöglicht.  

 

Weg vom „Defizitansatz“ 

 

Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund werden häufig als Menschen mit defizitären Sprachkenntnissen wahrgenommen, deren interkulturelle und fachliche Kompetenzen aus dem Blick geraten und ungeachtet des Fachkräftemangels für den Arbeitsmarkt unerschlossen bleiben. Die Beratungspraxis im FM Arbeit und Sprache zeigt, dass ein spezialisiertes Fallmanagement mit fachlicher Expertise im Bereich der Sprachförderung alle Beteiligten für diese Thematik sensibilisiert und durch die über die Arbeitsverwaltung hinausreichende koordinierende Funktion zu einer kooperativen Atmosphäre beitragen kann, die den gesamten Integrationsprozess begünstigt.

 

Ein Bericht von Anette Kuhn