Kursdaten
Vom März bis zum September 2011 hat bei der AWO in Gütersloh ein schriftfokussierter ESF-BAMF Kurs stattgefunden. Teilgenommen haben an dem Kurs 12 Frauen und 4 Männer um die 30 Jahre, die im Kurs sowohl ihre Lese- und Schreibkompetenzen optimieren als auch eine Berufsorientierung vornehmen konnten. Das Niveau der TN lag zu Anfang des Kurses nach Auskunft der Leitung mündlich im Bereich B1 und schriftlich zwischen A2 und B1.
Nach Selbsteinschätzung der Teilnehmer_innen am Ende des Kurses konnte jede Teilnehmer_in einen spürbaren Zuwachs an Sicherheit im schriftlichen Bereich verzeichnen. Wenn sie noch vor dem Kurs bei jedem Formular und Text Hilfe benötigt haben, so konnten sie nach dem Kurs Stellenanzeigen, bestimmte Zeitungsartikel, Berichte selbst verstehen und darauf schriftlich reagieren.
Ablauf des Kurses: Den Anfang macht die (fortlaufende) Kompetenzfeststellung
Mit allen Teilnehmer_innen werden beim Träger vorab Kompetenzchecks durchgeführt: Zuerst füllen die Interessentinnen vorab gemeinsam mit einer Fachkraft für Deutsch als Zweitsprache einen so genannten Profiling-Bogen aus, mit dem der bisherige berufliche Werdegang, die Sprachbiographie des TN und der Wunschberuf sowie mitgebrachte Kompetenzen festgehalten werden. Die Kompetenzerhebung wird im Kurs von den DaZ-Lehrenden fortlaufend durchgeführt und mit Hilfe der Sozialpädagog_innen haben die TN die Möglichkeit ihre Berufswünsche zu überprüfen und sie ggf. mit ihren Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt abzugleichen. Ein Beispiel dafür aus dem Kurs: Eine Teilnehmerin hatte keine klare Vorstellung von ihren Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Einerseits konnte sie sich vorstellen in ihrem „alten“ Beruf Verkäuferin zu arbeiten, andererseits fand sie die Arbeit mit Kindern interessant. Auf Rat der sozialpädagogischen Begleitung suchte die Teilnehmerin einen Praktikumsplatz im Verkaufsbereich, um einen Vergleich zu den Tätigkeiten einer Verkäuferin in ihrem Heimatland anstellen zu können. Nach dem absolvierten Praktikum stand fest: Die Tätigkeiten einer Verkäuferin machen ihr nach wie vor Spaß und sie möchte ihren „mitgebrachten“ Beruf auch hier ausüben. Zum nächsten Ausbildungsjahr hat sie eine Zusage für eine Ausbildungsstelle bei ihrem Praktikumsbetrieb.
Ein Schwerpunkt des DaZ-Kurses selbst liegt dann im Aufbau des Lese- und Schreibverstehens der Teilnehmenden, die u. a. auf die Bewerbungsphase vorbereitet werden. Die Kursleitung unterstützt die Teilnehmer_innen in der Anwendung von Lerntechniken, Lese- und Schreibstrategien. So wurde täglich sehr intensiv mit einer regionalen Tageszeitung gearbeitet. Unterschiedliche Textsorten wurden dazu genutzt, globales und detailliertes Leseverstehen zu trainieren und Kompensationsstrategien anzuwenden, Zusammenfassungen und Paraphrasierungen für einzelne Textabschnitte zu verfassen.
Zu Beginn des Kurses wurde beispielsweise dazu angeleitet, Stellenausschreibungen zu recherchieren und beim Lesen von Stellenanzeigen Notizen zu machen. Dies setzt voraus, dass die Teilnehmer_innen beim Lesen des Textes wichtige Informationen erkennen und markieren können. Eher am Ende des Kurses steht dann das Erstellen der kompletten Bewerbungsunterlagen, das sukzessive vorbereitet werden muss.
Berufskunde
Einen wichtigen Raum nimmt in den berufsbezogenen Deutschkursen der AWO OWL e.V. die Berufskunde und damit verbunden Betriebsbesichtigungen im Umfeld des Kursträgers ein: So wurden mit den TN dieses Kurses Besichtigungen eines Landwirtschaftsmaschinenherstellers, eines Elektrogeräteherstellers und einer Küchenbaufirma vorgenommen. Da es sich um namhafte Hersteller aus der Region handelte, nahmen die Teilnehmer_innen sehr interessiert an den Betriebsbesichtigungen teil. Während sich einige Männer sehr stark für den Produktionsbereich interessierten, lag bei vielen Frauen das Interesse eher auf der Verwaltung und dem hauswirtschaftlichen Bereich der Betriebe. So brachten die Besichtigungen nicht nur viel Neues und Interessantes über die Situation auf dem regionalen Arbeitsmarkt, sondern auch einige Praktikumsplätze. Ein Highlight ist, dass ein TN nach einem Praktikum bei dem Küchenhersteller gleich dort übernommen wurde und nun im Produktionsbereich arbeitet.
Um es den Teilnehmer_innen zu erleichtern, einen lebendigen Bezug zu verschiedenen Berufen zu bekommen, werden sie darüber hinaus angeregt, Berufe zu recherchieren und selbst unter zwei Aspekten vorzustellen: einmal wird der Beruf so präsentiert, wie die TN ihn aus ihrem Herkunftsland kennen und zum anderen damit verglichen, was der Beruf in Deutschland beinhaltet und voraussetzt. Ergänzend stellen dann noch externe Referent_innen einzelne Berufsfelder vor.
Praktika in Betrieben
Einen konkreten Einblick in den Berufsalltag eines für sie relevanten Berufes bekommen die TN im Praktikum. Dabei bestimmen die Ziele und Wünsche der TN den Praktikumsort, der von ihnen mit Hilfe einer Datenbank ausgesucht wird.
In der bei der AWO angelegten Datenbank sind Betriebe in der Region gelistet, die Praktikumsplätze anbieten. Die Liste entstand im Laufe der letzten 12 Jahre und der von der AWO OWL e.V. angebotenen Deutschkurse mit Arbeitsmarktorientierung und Praktikum.
Um einen Praktikumsplatz zu bekommen, rufen die TN im nächsten Schritt Betriebe an oder stellen sich direkt vor. Wenn einzelne TN über einen längeren Zeitraum keinen Praktikumsplatz finden, schalten sich eine Sozialpädagogin oder eine DaZ-Lehrerin ein um die TN dort abzuholen, wo sie Unterstützung brauchen: Das können sowohl Probleme bei der Recherche, bei der Präsentation im Betrieb als auch beim Telefonieren sein. Sowohl im Deutschunterricht als auch in der Bewerbungsphase wurden unterschiedliche Situationen mehrmals gemeinsam entwickelt und simuliert. Als Training wurden die Telefonate mit den Mitarbeiter_innen in der Verwaltung und mit der Projektleitung durchgeführt.
Die Praktika haben unterschiedliche Funktionen: Manche Teilnehmer_innen finden darüber einen Einstieg in den entsprechenden Betrieb, das Praktikum kann aber dem Träger auch dabei behilflich sein, mehr über die Kompetenzen der TN zu erfahren. So besuchte den schriftfokussierten Kurs z. B. eine Migrantin mit einem Computertechnologiestudium, deren Berufserfahrungen im Profiling nicht genau erfragt werden konnten. Aufgrund des Praktikums bei einem Computerhersteller ließ sich dann sehr viel genauer ermitteln, welche Kenntnisse und Berufserfahrungen die TN schon „im Gepäck“ hatte. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Kommunikation zwischen Träger und Betrieb von großer Bedeutung ist: Vor allem, wenn Konflikte im Praktikumsbetrieb auftauchen, muss der Träger schnell reagieren Eine Teilnehmerin musste etwa in Absprache mit der Sozialpädagogin ihren Praktikumsplatz vorzeitig verlassen, weil sie nicht wie besprochen in einem Floristikbetrieb im kreativen Bereich eingesetzt wurde, sondern hauptsächlich für das Zusammenfegen der Reste zuständig war. Für die Teilnehmerin wurde kurzfristig ein anderer Praktikumsplatz gefunden, in dem sie sich stärker entfalten konnte.
Natürlich machen Teilnehmende nicht nur positive Erfahrungen und manchmal gehen die Vorstellungen von Kursteilnehmer_innen und Arbeitgeber auseinander, z. B. wenn die Kursteilnehmer_innen sich unerwartet in Aushilfstätigkeiten wiederfinden.
Nachbereitung des Praktikums im Kurs
Die Kursteilnehmer_innen haben die Gelegenheit, ihre Erfahrungen im Praktikumsbetrieb regelmäßig an einem Tag in der Woche im Rahmen ihres Deutschkurses nachzubereiten: Dort werden nicht nur Erfahrungen und die Zusammenarbeit im Betrieb besprochen, sondern es gibt auch die Gelegenheit, sprachliche Herausforderungen zu thematisieren und neue Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Die Lernenden können schwierige Texte vom Praktikumsplatz mitbringen oder aber einfach kommunikative Anforderungen in Situationen schildern, die sie besser bewältigen möchten. Auch Probleme im sozialen Miteinander im Betrieb kommen dort zur Sprache. Verstärkt zum Einsatz kommen an Kurstagen während des Praktikums Fallbeispiele, die in Gruppenarbeit besprochen werden. Redemittel werden für besondere und allgemeine Situationen gesammelt und in Rollenspielen eingeübt. Die Teilnehmenden werden dazu motiviert, bei ihren Anleiter_innen oder Kolleg_innen im Betrieb nachzufragen, wenn etwas nicht verstanden wird. Jede Teilnehmer_in soll im Laufe des Praktikums das persönliche Glossar mit Wörtern und Redewendungen, die für das Praktikum relevant sind anfertigen.
Evaluation
Nach Ablauf des Praktikums gibt es eine abschließende Evaluation. Die Kursteilnehmer_innen verfassen in Begleitung der Sozialpädagog_innen und der Lehrkräfte Deutsch als Zweitsprache ihre Praktikumsberichte, in denen die Erfahrungen im Praktikumsbericht ausführlich dokumentiert werden. In den letzten Tagen des Kurses werden nicht nur die Inhalte und die Erfolge des Kurses durch die Teilnehmenden bewertet, sondern auch Ziele und weitere Schritte für die Zukunft bestimmt. Bei einem Nachtreffen sollen die bereits erreichten Erfolge besprochen werden.
Auswirkungen des ESF-BAMF-Programms
In den Jahren 2000 bis 2008 wurden in OWL berufsbezogene Kurse durchgeführt, die über Mittel des SGB II (SWL) finanziert wurden. Verglichen mit den Angeboten im Kreis Herford bis dato bedeutet das ESF-BAMF-Programm nach Einschätzung der Projektleitung der AWO OWL e.V. einen Rückschritt für die berufsbezogenen Kurse z. B im Kreis Herford. Folgende Themenbereiche werden dafür verantwortlich gemacht: Eines der großen Mankos des Programms ist der extrem große bürokratische Aufwand, der alle Beteiligten betrifft (Träger und Teilnehmer_innen) und von der eigentlichen pädagogischen Arbeit und somit einer qualitativen Weiterentwicklung der Kurse abhält. Darüber hinaus wäre es unbedingt erforderlich, für bestimmte Zielgruppen (etwa für Personen mit einem besonderen sozialpädagogischen oder Sprachförderbedarf) auch Kurse mit einer längeren Laufzeit anbieten zu können.
Gruppen mit 18 und mehr Teilnehmer_innen sind finanziell erforderlich, pädagogisch aber nicht zu verantworten.
Die Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache und auch die Fachlehrkräfte sind gezwungen, sich um Fortbildungen in diesem Bereich selbstständig zu bemühen und diese zu bezahlen. Sehr hilfreich wäre in diesem Fall ein bundesweites Fortbildungsprogramm für die im Programm tätigen Dozent_innen.
Ebenso ist eine Expertengruppe zur inhaltlichen Weiterentwicklung der berufsbezogenen Deutschförderung im ESF-BAMF-Programm dringend erforderlich um das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt erreichen zu können.
Nicht zuletzt sollte die derzeit erforderliche hohe Kofinanzierung, die eine viel zu große Gruppengröße erforderlich macht und bei der Zusammensetzung der Kurse die Frage der Finanzierung in den Vordergrund stellt, dringend überdacht werden. Die, durch die Kofinanzierung „gedeckelte“ Finanzierung der Kurse erlaubt es dem Träger weder, Team-Teaching nach Bedarf einzusetzen noch bestimmte arbeitsmarktbezogene Ausflüge (z. B. Besichtigung der Autostadt Wolfsburg) und informative kostenpflichtige Vorträge von Externen anzubieten. Dies mindert die Qualität der Kurse.
Bettina Kleiner und Luba Maier
Kontakt: awo-fachdienste-migration.de/6-0-Sprachfoerderung.html