Quo vadis berufsbezogene DaZ-Förderung?

Ein Bericht über den Workshop „Sprache lernen im Betrieb: Bilanz und Empfehlungen für Förderprogramme zur berufsbezogenen Kommunikation in der Zweitsprache“ beim IQ-Kongress „Gekommen um zu bleiben“ am 5. Februar 2014

Vor dem Hintergrund, dass die Anforderungen an Sprachkompetenzen sich in der Arbeitswelt drastisch erhöht haben, tragen Weiterbildungsangebote, die die Steigerung der zweitsprachlichen Kompetenzen am Arbeitsplatz und in der Qualifizierung zum Ziel haben, wesentlich zur Förderung und zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei. Die Beherrschung der Zweitsprache ist ein wichtiger Schlüssel zur Partizipation sowohl an betrieblichen Prozessen (z. B. Austausch über Arbeitsprozesse mit Vorgesetzten und Kollegen, betriebliche Mitbestimmung) als auch an fachlicher Weiterbildung und beruflichem Aufstieg.

Unter Berücksichtigung eines Beispiels aus der betrieblichen Praxis, bei dem sprachlich-fachliche Weiterbildung in die Arbeit integriert wird, einem Blick auf die bisherigen Erfahrungen aus den Beschäftigtenkurse des ESF-BAMF-Programms und aktueller transnationaler Forschungsergebnisse sollten im Workshop Empfehlungen für Förderprogramme zum berufsbezogenen Deutsch formuliert werden.

Referent_innen des Workshops: 

  • Alexander Braddell, Oxfordshire Skills Escalator Centre CIC Ltd (OSEC)
  • Anna Lüffe, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
  • Jasmin Arbabian-Vogel, Interkultureller Sozialdienst GmbH 

Moderation: Rita Leinecke, Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch

Alexander Braddell: "Recommendations for sustainable workplace language learning" (Präsentation als pdf-Datei zum Download

Der Gast aus England, Alexander Braddell vom Oxfordshire Escalator Centre, argumentierte auf der Basis seiner Untersuchungen zur Förderung von Englischlernangeboten für Migrant_innen in London (Anm. 1) insbesondere für die sprachliche Bildung von Migrant_innen in wenig qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen. Bei ihnen, so argumentierte er, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie langfristig im Land bleiben, höher als bei den Studierenden oder Hochqualifizierten. Sprachfertigkeiten sind entscheidend für den Zugang zu Vollzeitarbeitsstellen, die Partizipation an Weiterbildung und die Möglichkeit, vorhandene Qualifikationen zu nutzen. Zudem sind geringe Sprachkenntnisse ein Risiko für Qualität und Sicherheit am Arbeitsplatz. 

Für eine Sprachbildung am Arbeitsplatz spricht, dass Migrant_innen häufig in eine Falle geraten, die Braddell als „low pay, limited English trap“ bezeichnete: Der Wunsch, möglichst schnell eine Arbeit aufzunehmen, führt dazu, dass Migrant_innen – evtl. nach kurzer Teilnahme an einem Sprachkurs – schlecht bezahlte Tätigkeiten annehmen, für die nur geringe Englischkenntnisse erforderlich sind. Der Freundeskreis und das soziale Netzwerk bilden sich dann in der Regel aus Menschen, die ihre Herkunftssprache bzw. eine ihrer Herkunftssprachen sprechen. Viele Migrant_innen befinden sich damit in einer Situation, in der sie zwar mit rudimentären Zweitsprachenkenntnissen einigermaßen zurechtkommen, aus der sie sich jedoch kaum befreien können, da sie in der Regel weder über ausreichend Zeit noch Geld verfügen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. 

Der Arbeitsplatz bietet Menschen, die sich in einer solchen Situation befinden, den einzigen möglichen Raum, um Englisch zu lernen. (Für Sprachlernangebote am Arbeitsplatz spricht darüber hinaus, dass das formelle und informelle Lernen Erwachsener erwiesenermaßen zum größten Teil bei der Arbeit stattfindet.) 

Eine Unterstützung, die sowohl die Lernwünsche als auch den beobachteten Bedarf berücksichtigt, müsste, so Braddell, bestehen aus 

  • Ermutigung und Unterstützung zum (Weiter)Lernen der Zweitsprache, 
  • Ermöglichung von Kontakt mit authentischem Englisch (gesprochenem und geschriebenem), 
  • Gelegenheiten, in englischer Sprache zu interagieren, mündlich und schriftlich, 
  • Hilfe, die Form der englischen Sprache zu verstehen, 
  • Hilfe beim Entwickeln effektiver eigener Lernstrategien, 
  • Belohnung fürs Durchhalten im Lernprozess. 

Sie muss in anderen Worten aus all dem bestehen, was auch jede/r andere Fremdsprachlernende braucht. 

Für die sehr heterogene Zielgruppe der Migrant_innen in Beschäftigungsverhältnissen mit niedriger formaler Qualifikation muss, so Braddell, ein Unterstützungssystem entwickelt werden, das zugleich kohärent und auch flexibel ist. Da die existierenden Lernmöglichkeiten von dieser Zielgruppe nicht wahrgenommen werden (können), müssen andere, leicht zugängliche Angebote geschaffen und vor allem auch bekannt gemacht werden. 

Formales Lernen in betrieblichen Kursen ist verbunden mit Kosten (z. B. für die Freistellung der Mitarbeiter_innen, Bezahlung der Lehrkräfte), Einschränkungen durch betriebliche Arbeitsabläufe (z. B. im Schichtbetrieb) und auch Kapazitätsproblemen (z. B. dem Mangel an verfügbaren und dafür qualifizierten Lehrkräften). Das formale, meist in Kursen organisierte Lernen kann und sollte durch informelle Lernarrangements ergänzt werden. Ein internet-basiertes scaffolding-Programm (Anm. 2), das informelles Lernen am Arbeitsplatz unterstützt, könnte Vorschläge und Anleitungen enthalten, wie a) Arbeitgeber die Sprachbildung der Mitarbeiter_innen voranbringen könnten, z. B. durch Lernmaterialien, Coaching und Mentoring, lernförderliche Arbeitsorganisation, Feedbackgespräche, Peer-Lerngruppen und wie b) Arbeiter_innen selbstorganisierte Studiengruppen bilden und Programme zum selbstgesteuerten Lernen nutzen können. 

Bildungsanbietern würden bei dieser Art von Lernen und Bildung eine neue Rolle zufallen: nämlich Arbeitgeber zu beraten und Vorgesetzte zu schulen, wie diese Art von Lernen im Betrieb möglich gemacht werden kann, wie Arbeitsplätze in Orte verwandelt werden können, an denen Sprachlernen stattfindet, wie sie die Lernenden unterstützen können etc. Von der Verknüpfung von Arbeit und Lernen würden nicht nur Migrant_innen selbst, sondern auch die gesamte Belegschaft profitieren.

Anna Lüffe: "Berufsbezogenes Sprachtraining für Mitarbeiter in Unternehmen - das ESF-BAMF Programm" (Präsentation als pdf-Datei zum Download

Anna Lüffe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge umriss das seit 2007 laufende ESF-BAMF-Programm zur berufsbezogenen Deutschförderung. In der Hauptsache für Arbeitslose aufgelegt, zielt es darauf ab, diese in Arbeit zu bringen. Die Fördergelder des Programms können auch genutzt werden, um Beschäftigte in Betrieben berufsbezogen sprachlich weiterzubilden. In den letzten drei Jahren wurden insgesamt 300 solcher sog. „Beschäftigtenkurse“ gefördert, die u.a. in Medizin, Pflege, gewerblich-technischem Bereich Deutsch am Arbeitsplatz vermitteln. Dabei werden die Maßnahmen auf die Bedarfe der Firmen abgestimmt.

Herausforderungen bei der Etablierung von Beschäftigtenkursen bestehen darin, dass 

  •  viele Unternehmen die Notwendigkeit eines Sprachtrainings für ihre zugewanderten Mitarbeiter_innen nicht sehen bzw. die Verantwortung dafür den Mitarbeiter_innen allein zuschreiben, 
  • die Freistellung der Kursteilnehmenden für die Betriebe organisatorisch aufwendig ist (z. B. wenn die Teilnehmenden in Schicht arbeiten) und die Sprachkursanbieter bzw. die Lehrkräfte sehr flexibel agieren müssen, 
  • das Programm selbst Rahmenbedingungen setzt, die für Betriebe bzw. die Sprachkursanbieter nicht leicht zu erfüllen sind (z. B. Mindestteilnehmerzahl von ca. 10 Personen – dies entsteht dadurch, dass die Freistellung der Mitarbeiter_innen als Ko-Finanzierung des Betriebes eingebracht werden muss). 

Für die neue Förderperiode 2014 bis 2020 soll es verschiedene Verbesserungen geben, z. B. soll die Sprachbedarfsermittlung bei den Firmen besser gesteuert werden und ein Blended-learning-Angebot erstellt werden, das auch einzelnen Beschäftigten die Teilnahme an Kursen ermöglicht. 

Jasmin Arbabian-Vogel: "Personalentwicklung durch Weiterbildung: Bedarfe und Strategien in Unternehmen" 

Aus ihrer Perspektive als Unternehmerin und Leiterin des Interkulturellen Sozialdienstes in Hannover berichte Jasmin Arbabian-Vogel, wie sie mit Sprachanforderungen an den Arbeitsplätzen ihrer Mitarbeiter_innen umgeht. Der Alten- und Krankenpflegedienst hat als Schwerpunkt die Versorgung von zugewanderten Menschen. Über 80% der 85 Mitarbeiter_innen haben eine Zuwanderungsgeschichte. Schon bei der Einstellung wird eine kompetenzorientierte Perspektive eingenommen und nicht auf Defizite, sondern auf mitgebrachte Qualifikationen geachtet. So haben viele der Mitarbeiter_innen im Herkunftsland eine universitäre Ausbildung abgeschlossen. 

Es werden bewusst keine Sprachtrainingsmaßnahmen angeboten, sondern das Deutschlernen erfolgt im Arbeitsprozess und im täglichen Miteinander. Dafür sei, so Arbabian-Vogel, ein Betrieb nötig, der das Klima dafür schafft, indem er sich zu einem interkulturellen Miteinander bekennt. In dem vorgestellten Betrieb gibt es regelmäßige Qualitätszirkel, in denen nicht nur Sach- und Sprachfragen besprochen werden, sondern in denen es auch um „diversity management“ geht. 

Anschließende Diskussion

Folgende Empfehlungen an die Gestalter_innen von Förderprogrammen zum berufsbezogenen Deutsch, die im folgenden anhand von fünf Unterpunkten aufgelistet sind, wurden formuliert:

Förderung durch die öffentliche Hand

  • Menschen müssen in den Vordergrund gestellt werden (nach dem Motto „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“).
  • Neue Programme sollten den Arbeitsplatz als Lernort fokussieren. In diesem Rahmen müssten Bildungsträger dabei unterstützt werden, Betriebe aufzusuchen und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu befragen, zu beraten und zu unterstützen. 
  • Sprachförderung muss unabhängig von Transferleistungen sein. 
  • Nachhaltigkeit des Lernens muss gefördert werden. 
  • Überlegungen, wie Sprachkontakt gefördert und Sprachverlust verhindert werden kann, sollten einen Schwerpunkt bilden. 

Öffentlichkeitsarbeit 

  • Die Öffentlichkeit muss über Angebote Deutsch am Arbeitsplatz informiert werden.
  • Betriebe müssen ins Boot geholt werden. Sie müssen den Bedarf erkennen und Arbeitsplatz als Lernort öffnen. 
  • Betriebe müssen besser über Sprachförderangebote informiert werden (matching).
  • Best practice-Beispiele sollten deutlich sichtbar gemacht werden. 

Modelle 

  • Wünschenswert sind Mentoring-Modelle und Instrumente zu deren Umsetzung. 
  • Der Arbeitsplatz sollte als Sprachlernort gesehen werden. 
  • Kooperationen sollten gefördert werden. 

Lehrkräfte 

  • Gefordert wird mehr Investition in die Qualifikation von Lehrkräften, u. a. für die besondere Aufgabe des Unterrichts am Arbeitsplatz (Sprachförderung am Arbeitsplatz ist keine Verlagerung des gewohnten Unterrichts an einen anderen Ort! Die vorliegende Forschung sollte unbedingt berücksichtigt werden.) 
  • Es müssen authentische Materialien für Trainer_innen entwickelt werden. 
  • Der kollegialen Beratung sollte Raum eingeräumt werden. 

Erfolgsmessung 

  • Neue Kriterien für Erfolgsmessung sind erforderlich, in denen es mehr um konstruktives Feedback geht. 
  • Vorsicht ist geboten bei der Nutzung standardisierter Verfahren, nicht nur weil eine angstfreie Atmosphäre wichtig ist, sondern vor allem, weil ein bedarfs- und handlungsorientiertes Sprachtraining und das Hinarbeiten auf eine standardisierte Prüfung nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) einander ausschließen. 

Susan Kaufmann und Rita Leinecke

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Anmerkungen:

1. Research for the Mayor of London’s office, Spring 2013, und Practicioner-led research (1997 – present), siehe auch den Beitrag “Beyond the classroom”

2.  Scaffolding (vom Englischen "scaffold" oder "scaffolding" = Gerüst) bezeichnet im pädagogisch-psychologischen Kontext die Unterstützung des Lernprozesses durch die Bereitstellung einer ersten vollständigen Orientierungsgrundlage in Form von Anleitungen, Denkanstößen und anderen Hilfestellungen. Sobald der/die Lernende fähig ist, eine bestimmte Teilaufgabe eigenständig zu bearbeiten, entfernt man dieses „Gerüst“ schrittweise wieder. Nach: Schnotz, W. (2006): Pädagogische Psychologie Workbook. Weinheim: Beltz, S. 49.