Kompetent kommunizieren im Krankenhaus - Berufsbezogene Sprachkurse für internationale Ärztinnen und Ärzte

Projektzeitraum: seit 01.10. 2012

Schulungsort: St. Anna Hospital, Hospitalstr. 19, 44649 Herne

Durchführender Weiterbildungsträger: Bildungszentrum des Handels (bz), Recklinghausen

 

Am St. Anna Hospital in Herne startete im Oktober 2012 das im Rahmen des ESF-BAMF-Programms geförderte Pilotprojekt „Kompetent kommunizieren im Krankenhaus – Berufsbezogene Sprachkurse für internationale Ärztinnen und Ärzte“. Träger ist das Bildungszentrum des Handels (BZ) in Recklinghausen, das seit 2009 ESF-BAMF-Kurse in zwei Fördergebieten – Bochum/Herne und Kreis Recklinghausen – durchführt. Derzeit (Stand April 2013) laufen vier Kurse an Krankenhäusern in Herne und Bochum und ein „gemischter“ Kurs mit Ärzten aus unterschiedlichen Krankenhäusern und Praxisgemeinschaften; drei weitere Projekte sind in Vorbereitung. Viele Krankenhäuser in der Region äußern Interesse, Ärzte, die sich berufssprachlich weiterentwickeln wollen, für die Teilnahme an ähnlichen Sprachkursen freizustellen, so dass von einer weiter steigenden Anzahl an Kursen auszugehen ist, zumal die Entwicklung durch das BAMF und in NRW besonders durch die im Oktober 2012 gestartete Ärzteinitiative NRW forciert wird. 

Informationen dazu unter Landesweite Initiative: Sprachkurse zur berufsbezogenen Deutsch-Förderung für ausländische Ärztinnen und Ärzte < Informationen < Aktuelles | KGNW e.V. 

Die Ärztekurse sind ein wichtiges aktuelles Thema, entsprechend groß ist auch das mediale Interesse an dem Projekt (siehe auch die Sendung des WDR vom 5.3.2013).

Ermittlung des Sprachbedarfs 

Der Prozess der Planung eines Kurses wird in der Regel dadurch angestoßen, dass ein Krankenhaus an den Bildungsträger herantritt. Der Bedarf des Unternehmens wird daraufhin in ausführlichen Gesprächen sowohl mit Personalverantwortlichen als auch mit der ärztlichen Leitung ermittelt. Nach Möglichkeit wird auch mit dem Weiterbildungszentrum des jeweiligen Krankenhauses Kontakt aufgenommen, da dieses in der Regel wertvolle Hinweise zu den Schwierigkeiten im ärztlichen Weiterbildungskontext geben kann. Viele Krankenhäuser sehen, das sei hier angemerkt, keineswegs nur Probleme in der Arbeit mit internationalen Ärztinnen und Ärzte, sondern schätzen durchaus auch deren Potenziale, die sie durch vielfältige Sprach- und Kulturkompetenzen in das Unternehmen einbringen – vor allem im Hinblick auf  zunehmend heterogene Patientengruppen. 

Parallel dazu wird der Sprachstand der Kursteilnehmenden anhand eines vom Träger selbst erstellten Sprachstandstests ermittelt. Dieser Test ist an das Prüfungsformat TELC B2+ Beruf angelehnt, stellt aber allgemeinsprachliche und berufssprachliche Aufgaben aus dem ärztlichen Handlungszusammenhang. Darüber hinaus wird in Interviews erfragt, mit welchen sprachlichen Schwierigkeiten sich die Ärzte in ihrem Berufsalltag konfrontiert sehen, wie die individuellen Sprachlernbiographien aussehen (ein B2-Zertifikat aus dem Herkunftsland ist in der Regel schon vorhanden) und welche Erwartungen und Ziele mit der Kursteilnahme verknüpft werden. Es hat sich gezeigt, dass die individuellen Lernvoraussetzungen und -erwartungen sehr unterschiedlich sind. Der Sprachqualifizierungsbedarf erstreckt sich von der alltagssprachlichen Kommunikation mit Patienten (Beherrschung der Umgangssprache, insbesondere des Soziolekts des Ruhrgebiets, Kenntnis von Registerdifferenzierungen u.a.) über die Verbesserung der Aussprache, die Fachsprache in der kollegialen Zusammenarbeit, das Textverständnis bis hin zum Schreiben von Briefen, soweit diese nicht auf standardisierten Bausteinen basieren. Individuelle Zieldefinitionen sind nicht nur aus diesem Grund erforderlich, sondern auch, weil unterschiedliche Zielgruppen – Hospitanten/Praktikanten (ohne Approbation oder Berufserlaubnis) und Assistenzärzte (Ärzte in der fachärztlichen Weiterbildung) – in den Kursen zusammenkommen. Für die Praktikanten ist das Ziel zunächst die Verbesserung ihrer berufssprachlichen Kompetenzen, um bei der zuständigen Bezirksregierung den sog. Fachsprachentest (siehe Ministerialblatt NRW Ausgabe 2012 Nr. 22 vom 20.8.2012) zu bestehen und damit die Voraussetzung für die Erteilung der Approbation zu erfüllen. Für die Assistenzärzte geht es vor allem darum, im beruflichen Alltag – vor allem in der Arbeit mit den Patienten – selbstständig und sicher agieren zu können.

In den Prozess der Sprachbedarfsermittlung sind die Projektleiterin, eine festangestellte Lehrkraft sowie ggf. eine auf Honorarbasis angestellte Lehrkraft eingebunden. Sie erstellen auf der Basis der Sprachbedarfsermittlungen und der Zieldefinitionen gemeinsam mit den Kliniken die allgemein- und berufssprachlichen Ziele für das jeweilige konkrete Projekt.

Kursinhalte und methodisches Vorgehen 

Kursinhalte beziehen sich sowohl auf die allgemeinsprachliche als auch auf die berufssprachliche Kompetenz. Allgemeinsprachlich wird das Lesen und aktive Verstehen anspruchsvoller längerer Texte, Vorträge, Präsentationen und Diskussionen aus verschiedenen Fachbereichen und eine strukturierte und ausführliche mündliche wie schriftliche Wiedergabe trainiert, aber auch das selbstständige Verfassen von Berichten, Protokollen, Vorträgen und Präsentationen steht auf dem Unterrichtsplan. Übungen zur Erweiterung des grammatischen und lexikalischen Repertoires und zur spontanen Verwendung passender Redemittel in unterschiedlichen Handlungskontexten gehören ebenso zum Programm wie das Training adressatenbezogener Kommunikation und die Arbeit an individuellen sprachlichen Defiziten. 

Um die berufssprachliche Kompetenz zu erweitern, wird die Gesprächsführung mit Patienten und Angehörigen – auch in „schwierigen Situationen“ – thematisiert und in Simulationen geübt. Das Verständnis des „Patientendeutsch“, also zum Beispiel von – häufig umgangssprachlichen – Beschreibungen von Empfindungen, Beschwerden und Symptomen wird trainiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Fach- und Teamgesprächen, also der Kommunikation zwischen Arzt und Arzt, Arzt und Pflegepersonal im Krankenhausalltag. Dabei geht es um das Training der Kommunikationsstrategien und -mittel in realen beruflichen Situationen, das den Ausbau des Wortschatzes im ärztlichen Handlungszusammenhang, die Verbesserung der Dokumentation und nicht zuletzt die Entwicklung der Potenziale interkultureller Kompetenz mit einschließt. 

Wichtig ist weiterhin das Training der sprachlichen Mittel und Methoden zur Verständnissicherung im fachlichen Weiterbildungskontext. Die Teilnehmenden müssen Fachartikel und -vorträge verstehen können und sich im Anschluss daran an Fachdiskussionen beteiligen können. Zur Facharztweiterbildung gehört genauso, dass sie auch selbst gut strukturierte und sprachlich klare Kurzvorträge/Kurzpräsentationen halten können. Diese Inhalte werden von der Sprachlehrkraft gemeinsam mit einem Präsentationstrainer vermittelt, der neben der Sprache auch die anderen Präsentationstechniken (Auftritt, nonverbale Mittel, Visualisierung auf Folien etc.) vermittelt.

Am Ende des Kurses besteht die Möglichkeit, die telc-Prüfung „C1-Hochschule“ abzulegen, in der genau diese Kompetenzen in einem allgemeinsprachlichen Rahmen abgefordert werden. 

Besondere Bedingungen 

Der Unterricht im St. Anna-Hospital in Herne erfolgt unter besten Bedingungen und in enger Absprache mit der ärztlichen Leitung: Es stehen nicht nur gut ausgestattete Seminarräume zur Verfügung, Dozenten und Kursteilnehmende können auch auf die technischen Medien bzw. realen Dokumente des Krankenhausalltags (Fachzeitschriften, mobile PC-Einheiten zur Präsentation von Röntgenbildern, CT oder MRT, Anamnesebögen, Dienstanweisungen etc.) zurückgreifen und so die Situationen am Arbeitsplatz bzw. Patienten-, Fach- und Teamgespräche u.a. in Simulationen und Rollenspielen trainieren. 

Die Ärzte und Ärztinnen werden vom Krankenhaus für die Teilnahme am Unterricht von der Arbeit freigestellt (eine wichtige Bedingung für die Förderung durch ESF und BAMF) und werden samstags und dazu an drei Nachmittagen pro Woche unterrichtet. An zwei Tagen in der Woche wird der feste Gruppenunterricht aufgelöst und die Ärzte und Ärztinnen, die schon selbstständig mit Patienten arbeiten, erhalten ein Coaching am Arbeitsplatz. In diesem Rahmen werden die Teilnehmenden von einer Lehrkraft in realen Kommunikationssituationen begleitet (Shadowing) und erhalten im Anschluss ein Feedback zu ihrem Sprachverhalten und Hinweise für die weitere Verbesserung ihrer individuellen Sprachkompetenz. Dieses Feedback wird bereitwillig angenommen, da die Ärzte in ihrem Arbeitsalltag ansonsten kaum Rückmeldungen zu sprachlichen Fehlern oder Missverständnissen erhalten und keine Gelegenheit haben, alternative Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln, denn Patienten oder Pflegekräfte äußern sich in der Regel dazu nicht direkt. Für die Lehrkräfte ihrerseits hat das Shadowing den Vorteil, dass sie die Klinik, die beruflichen Tätigkeiten und die damit verbundenen sprachlichen Anforderungen noch besser kennenlernen und diese Situationen dann wieder für die Gesamtlerngruppe „in den Unterricht hineinholen“ können. 

Qualifikation der Sprachlehrkräfte 

Wichtig ist die klare Trennung des Deutschunterrichts von der fachlichen Weiterbildung, die in der Zuständigkeit des Krankenhauses liegt: Die Lehrkräfte sind keine Fachexperten, sondern Sprachlernexperten, die vor allem die Perspektive der medizinischen Laien einnehmen können und den Ärzten dadurch spiegeln können, wie ihre Informationen bei den Patienten ankommen und einfordern, dass Diagnosen, Therapievorschläge und Risikoaufklärungen in einer „Transfersprache“ formuliert werden, die sich stark von der medizinischen Fachsprache unter Kollegen unterscheidet. 

Als Sprachlehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache und Sprachcoaches müssen sie natürlich die Lehrkraft-Zulassung für Integrationskurse nachweisen, darüber hinaus aber auch langjährige Erfahrung im Unterrichten auf unterschiedlichen Kompetenzstufen, die Prüfungsberechtigung für Prüfungen auf den B- und C-Stufen und nach Möglichkeit auch eine Coaching-Ausbildung mitbringen. Eine Lehrkraft ist jeweils als Projektkoordinator_in tätig, thematisiert regelmäßig den Lernfortschritt individuell mit den Teilnehmenden und holt dazu auch Feedbacks aus dem Unternehmen ein. Die weiteren Lerninhalte und -methoden werden dann ggf. an geänderte Sprachlernbedarfe angepasst. 

Finanzierung durch das ESF-BAMF-Programm 

Im Rahmen der ESF-BAMF-Beschäftigtenkurse werden die aufwändigen Abstimmungsprozesse mit den Krankenhäusern, die Sprachbedarfsermittlung sowie Vorbereitungszeiten zusätzlich zum Unterricht finanziert. (Dies wird von der Fachstelle auch für alle anderen zukünftigen ESF-BAMF-Kurse empfohlen.) Die Projekte sind folglich teurer als die normalen ESF-BAMF-Kurse, es werden dadurch allerdings auch flexible Lösungen für unterschiedliche Kliniken (im Hinblick auf Teilnehmende, Projektdauer, Stundenzahl, Inhalte, Prüfungen usw.) ermöglicht. 

Weitere Informationen zu diesem spannenden Projekt erhalten Sie hier:

In den vom BAMF herausgegebenen ESF-News wird über den Start des Herner Pilotkurses berichtet. 

Vorträge zur Informationsveranstaltung am 4. Oktober 2012, St. Anna Hospital, Herne finden Sie auf der Seite der Landesinitiative NRW zur berufsbezogenen Deutsch-Förderung ausländischer Ärztinnen und Ärzte.  

Gabriele Faßbach, Susan Kaufmann (im April 2013)