Mehrsprachigkeit

Elias Canetti, der Literaturnobelpreisträger von 1981, lernte erst mit zwölf Jahren Deutsch. Seine erste Sprache war Ladino, gefolgt von Bulgarisch und Deutsch. In seinem autobiografischen Buch „Die gerettete Zunge“ schreibt er: ››Rustschuk, an der unteren Donau, wo ich zur Welt kam, war eine wunderbare Stadt für ein Kind, und wenn ich sage, dass sie in Bulgarien liegt, gebe ich eine unzulängliche Vorstellung von ihr, denn es lebten dort Menschen der verschiedensten Herkunft, an einem Tag konnte man sieben oder acht Sprachen hören.‹‹

(aus „Die Macht der Mehrsprachigkeit – über Herkunft und Vielfalt“ von Olga Grjasnowa, Dudenverlag, Berlin, 2021, p. 18)

Für die UNESCO ist die Muttersprache ein kulturelles Menschenrecht. Seit 2000 wird am 21. Februar weltweit der "Internationale Tag der Muttersprache" begangen. „Sprachliche und kulturelle Vielfalt repräsentieren universelle Werte, die Einheit und Zusammenhalt einer Gesellschaft stärken. Der Internationale Tag der Muttersprache erinnert an die Bedeutung des Kulturgutes Sprache. Er soll die Sprachenvielfalt und den Gebrauch der Erstsprachen fördern und das Bewusstsein für sprachliche und kulturelle Traditionen stärken." (Bildungsserver Berlin-Brandenburg: Fachbrief 18)

Kurz gesagt ...

Mehrsprachigkeit ist kein mehrfacher Monolingualismus, der mehrsprachige Mensch ist kein Sonderfall, sondern der Normalfall. Neuere Modelle stellen Faktoren der Dynamik und Flexibilität von Mehrsprachigkeitssystemen in den Vordergrund. Sprache verändert sich permanent, d.h. Sprachen sind keine geschlossenen Einheiten, sondern vernetzt operierende Mittel zur Kommunikation in mehrsprachigen Räumen bzw. Kontaktzonen. Sprecher*innen nehmen von anderen Sprachen Wörter und Strukturen und mobilisieren alle sprachlichen Ressourcen bei der Sprachverwendung. Es gibt eine wechselseitige Beziehung zwischen den Erfahrungen von Sprachenlernen und Sprachenkompetenzen.

Verwandte Themen:

Sprachkompetenz

Sprachsensibilität

Praxisbeispiele

Sprachliches Lernen digital: Mehrsprachigkeit gezielt nutzen und fördern

Anregungen auch für die Erwachsenenbildung lassen sich zu der Frage, wie sich individuelle Mehrsprachigkeit der Lernenden mit digitalen Medien nutzen und fördern lässt aus der Handreichung der Reihe "Unterricht und sprachliches Lernen digital" des Mercator-Institut gewinnen. Sie liefert Lehrkräften Beispiele zur methodischen Umsetzung im Unterricht und erklärt, wie digitale Produkte mehrsprachig erstellt werden können und sich mehrsprachige Kompetenzen mit Hilfe digitaler Medien ausbauen lassen.

https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/de/themenportal/thema/sprachliches-lernen-digital-mehrsprachigkeit-gezielt-nutzen-und-foerdern/

 

Mehrsprachigkeit im Basisbildungsunterricht - Materialien und Aktivitäten für jugendliche und junge erwachsene Migrant_innen

Diese Handreichung entstand im Rahmen der Entwicklungspartnerschaft MEVIEL (mehrsprachig – vielfältig), gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Frauen und des Europäischen Sozialfonds. MEVIEL steht für ein Entwicklungsprojekt, das die Bildungschancen von jugendlichen und jungen erwachsenen Migrant_innen in Österreich nachhaltig verbessern will. Dazu wurden in MEVIEL von 2012 bis 2014 wissenschaftliche Erkenntnisse über Zwei- und Mehrsprachigkeit für die Bildungs- und Beratungspraxis aufbereitet und nutzbar gemacht. Die Mitarbeiter_innen im Projekt entwickelten Konzepte und Modelle mit dem Ziel, Möglichkeiten darzustellen, wie Mehrsprachigkeit und Vielfalt als Ressource sichtbar und für den Lernprozess nutzbar gemacht werden können. Diese Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Entwicklungsarbeit wenden sich an Lehrende, Berater_innen, Lernbegleiter_innen, Pädagog_innen Programmplaner_innen, Studierende, Sprachwissenschafter_innen und Personen, die mit jugendlichen und jungen erwachsenen Migrant_innen im Bildungs- und Beratungskontext arbeiten.

https://www.vhs.at/meviel_handreichung/index.html

 

Abschlussbericht des Projekts „Sprachförderung für Teilnehmer*innen des Projekts HÊVÎ -  Miteinander lernen – Mit Wertschätzung, Offenheit und Flexibilität“

Mit kommunalen Mitteln der Stadt Bielefeld wurden bei der AWO Bielefeld 39 Personen, die die Integrationskurse ohne ein Zertifikat abgeschlossen haben, in individuellen Kursformaten mit innovativen und ressourcenorientierten Instrumenten und Methoden gefördert, die u.a. auch in wertschätzender Weise die Mehrsprachigkeit der Teilnehmenden mit Methoden des individuellen Sprachcoachings als wertvolle Ressource in den Blick nimmt. In der Mehrzahl handelte es sich um lernungewohnte Personen bzw. um Lernende mit keiner, begrenzter und/oder unterbrochener Schulbildung (LbuS). Bei den meisten Teilnehmenden war der Alphabetisierungsprozess noch nicht abgeschlossen. Die Ziele der Sprachförderung waren zum einen das Vorantreiben des Alphabetisierungsprozesses der einzelnen Teilnehmenden, zum anderen die Begleitung der Teilnehmenden im Rahmen der Sprachförderung mit einer realistischen Chance auf das Erreichen des Zielniveaus A2, aber auch die Verbesserung der persönliche Handlungsfähigkeit in alltäglichen Situationen.

Hier erhalten Sie einen Einblick in die Vorgehensweise und das Arbeiten mit Sprachenportraits.

Hier die Kontaktdaten zur AWO-Bielefeld und zur Projektleitung für den Gesamtbericht.

 

"Teaching Bilinguals (Even if You're Not One): A CUNY-NYSIEB Webseries"

Aus der Fortbildungsarbeit für den Translanguaging-Ansatz geben diese Clips auf kurzweilige anschauliche Weise vielfältige Anregungen für den Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht. Authentische Personen/Expert*innen sprechen aus ihrer Praxis und geben konkrete Tipps und Hinweise.

https://www.cuny-nysieb.org/teaching-bilinguals-webseries/

Positionen

Wurzenrainer, Martin/Laimer, Thomas (2018): Mehrsprachigkeit im Basisbildungsunterricht mit MigrantInnen – eine Ressource und keine Komplikation!

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 33, 2018. Wien. Basisbildungsunterricht für MigrantInnen, der die Lernenden in den Mittelpunkt stellt und sich an den vorhandenen Kompetenzen orientiert, muss Mehrsprachigkeit als Normalität und als Ressource betrachten. Der Einbezug des gesamten sprachlichen Repertoires ist beim Lernen von enormer Bedeutung. Jede zusätzliche Sprache wird nicht getrennt von der sog. „Erstsprache“ erworben bzw. erlernt, sondern wird in das bereits vorhandene sprachliche System integriert. Faktisch wird Mehrsprachigkeit gegenwärtig jedoch zumeist als bildungsbenachteiligende Eigenschaft gehandelt. In der Erwachsenenbildung darf es, wie die Autoren des vorliegenden Beitrages betonen, zu keiner Reproduktion dieser Form der Diskriminierung kommen. Wie also kann der Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Basisbildungsunterricht als Ressource konkret erfolgen? Welche Ziele können dabei verfolgt und wie können dadurch neue Ressourcen geschaffen werden? https://erwachsenenbildung.at/magazin/ausgabe-33/12230-mehrsprachigkeit-im-basisbildungsunterricht-mit-migrantinnen-eine-ressource-und-keine-komplikation.php

 

García, Ofelia: „The Translanguaging Current in Language Education“. 2015

Lange wurde in der Sprachbildung darauf bestanden, dass nur die Zielsprache im Untericht zu nutzen sei. Dies war der Fall egal welche Lernendengruppe oder Bildungsmaßnahme es auch betraf. Forschende haben begonnen diese Vorannahme zu hinterfragen, in dem sie forderten, dass flexiblere Lehr-/Lernstrategien benötigt werden. Dieser Vortrag stellt das theoretische Modell des Translanguaging-Konzepts vor und zeigt wie Lehrende unterschiedliche Praktiken sowohl im Unterricht wie für die Evaluation einsetzen können, um die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden zu entwickeln unter Einbezug des ehemals sanktionierten Gebrauchs der Herkunftssprachen.

https://www.youtube.com/watch?v=JaVcaYhFzVY

 

Vom Umgang mit Mehrsprachigkeiten (von Volker Hinnenkamp)

Mehrsprachigkeit in Deutschland ist ein Politikum. Zu der Frage, ob Mehrsprachigkeit von Migranten ihre Integration fördert oder erschwert, gibt es auch in der Forschung unterschiedliche Ansichten. Dieser Artikel von Volker Hinnekamp, Soziolinguist und Sprachsoziologe und mittlerweile emeritierter Professor für interkulturelle Kommunikation an der Hochschule Fulda, gibt einen Überblick.

https://www.hs-fulda.de/fileadmin/user_upload/FB_SK/Professor/Hinnenkamp/Hinnenkamp__Volker_2010_UEber_Mehrsprachigkeiten__APuZ_8-2010_.pdf